Das Gerede vom starken Deutschland, das mit
seinen Exporten die EU-Nachbarn unter den Tisch wirtschaftet, wird
immer sachlicher. Zwar sieht die EU-Kommission bei der
Wachstumslokomotive »erheblichen Handlungsbedarf«. Aber man räumt
wenigstens schon mal ein, dass »die großen Mitgliedstaaten einen
wichtigen Beitrag zum Wachstum in Europa leisten«. Tatsächlich
schwimmen nicht wenige Wirtschaften im Sog mit, den Deutschland
auslöst. Sie profitieren von Unternehmen, die nicht exportieren,
sondern expandieren, indem sie Filialen und Niederlassungen in der
ganzen Union eröffnen. Ohne überheblich klingen zu wollen: Aber das
ist vergleichbar mit Entwicklungshilfe. Dennoch muss sich die
Bundesrepublik von Brüssel rügen lassen, weil der
Leistungsbilanzüberschuss eben nicht nur ein Grund ist, sich auf
seinen Lorbeeren auszuruhen. Denn zum einen dokumentiert die
Exportstärke, wie abhängig Deutschland vom sensiblen Geschäft mit
ausländischen Abnehmern ist. Zum anderen aber machen die Daten klar,
wie dringend nötig Maßnahmen sind, um den Binnenmarkt anzukurbeln.
Denn andersherum wird ein Schuh daraus: Deutschlands Export ist nicht
zu hoch, die Binnen-Konjunktur hinkt hinterher. Das ist kein Zufall,
sondern Ergebnis einer Strategie. Berlin wollte und musste sparen,
auch deshalb, um ein anderes von Brüssel vorgeschriebenes Ziel
erreichen zu können: einen ausgeglichenen Haushalt. Dadurch aber fiel
die öffentliche Hand als Investor und Auslöser von Aufträgen
weitgehend aus. Was sich nun rächt. Sicherlich hat auch Brüssel
anfangs Fehler gemacht, als man die Kritik an der bundesdeutschen
Stärke mit dem Ruf nach höheren Löhnen und dem Appell für
Mindestlöhne garnierte. Beides mag theoretisch als Lösung naheliegen,
entzieht sich aber jeder praktischen Anwendung. Die Lohnstruktur
zählt zur Hoheit der Tarifparteien und ob Mindestlöhne eine spürbare
wirtschaftliche Entwicklung bewirken können, steht in den Sternen.
Richtig bleibt, dass man den Menschen mehr Kaufkraft zurückgeben
muss. Der Schlüssel dazu liegt in der hohen Steuer- und Abgabenquote
– in den Augen der EU-Kommission ein großes Problem für die
Bundesbürger. Immer wieder hat auch der deutsche EU-Kommissar Günther
Oettinger aufgezeigt, wie die Binnennachfrage durch die
explodierenden Preise gebremst wird. Diese Kritik wiederholt man in
Brüssel auch jetzt – zu Recht. Deshalb wäre es falsch, Mahnungen der
EU in den Wind zu schlagen und das Zahlenwerk als Neid am
wirtschaftlichen Erfolg zu verstehen. Eine zu hohe Exportquote stellt
ein ebenso konjunkturelles Risiko da wie ein zu ausgeprägtes Defizit.
Beides muss ausgeglichen werden. Nicht nur, aber auch im Sinne der
Währungsunion. Denn wenn die anderen im Sog der deutschen Stärke
mitwachsen, würden sie im umgekehrten Fall auch durch einen Einbruch
mitgeschädigt. Das muss Brüssel verhindern dürfen – im Interesse
aller.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261
Weitere Informationen unter:
http://