Wenn einer sich auf ein riskantes Spiel einlässt
und dabei eine Grenze hinter sich lässt, von der an es kein Zurück
mehr gibt, dann sagt man seit Cäsars Zeiten: Er hat den Rubikon
überschritten. Ein Landsmann des Imperators, der europäische
Zentralbank-Chef Mario Draghi, hat gestern die Maas überquert. Der
Vertrag der beiderseits dieses Flusses gelegenen Stadt Maastricht hat
die Eigenverantwortung der Staaten für ihre Ausgabenpolitik noch über
alles gestellt. Er ist Vergangenheit. Von nun an segeln alle in einem
Euro-Boot. Der folgenschwere Schritt kam nicht unerwartet. Draghi
hatte ihn angekündigt. Er werde alles tun, um den Euro zu retten.
Alles: Das heißt seit gestern, die EZB wird unbegrenzt Staatsanleihen
aufkaufen. Unbegrenzt in der Höhe. Begrenzt noch durch die
Bedingungen, denen sich die davon profitierenden Mitgliedsländer
unterwerfen müssen. Das ist möglicherweise ein kleines Zugeständnis
an die Widerständler, zu denen neben Deutschland wohl zwischendurch
auch Österreich, Finnland, Luxemburg und die Niederlande gehören.
Indessen kam bei den Profiteuren in Südeuropa eine andere Botschaft
an. Die Zentralbank, das wissen sie nun, ist politisch beeinflussbar.
Gewiss, darin unterscheidet sie sich nicht von der Federal Reserve in
New York, der Bank of England und weiteren Staatsbanken. Doch sollte
die EZB eben anders sein – vorrangig der Geldwertstabilität
verpflichtet und nicht der nationalen Steuerpolitik oder gar dem
konjunkturellen Auf und Ab. Die Reaktion einiger südeuropäischer
Regierungschefs auf die gestrige EZB-Entscheidung spricht Bände: Mehr
als 2,5 Prozentpunkte Abstand spanischer Staats- zu deutschen
Bundesanleihen seien nicht gerechtfertigt, erklärte nicht etwa ein
Mitglied der Zentralbank, sondern der Madrider Regierungschef Mariano
Rajoy. Die große Gefahr der gestrigen Entscheidung ist eine Rückkehr
der Geldentwertung. Inflation enteignet die Inhaber kleiner
Barvermögen. Die Großen finden immer einen Weg, ihre Schäfchen
trocken zu halten. Noch herrscht aber Geldstabilität. Dieser Kampf
ist nicht vorbei. Denn nur weil eine Grenze überschritten wurde, ist
nicht alles entschieden. Die Warnung, die Schleusen seien geöffnet,
ist zwar nicht aus der Luft gegriffen. Sie sollte die Verteidiger der
Stabilität aber nicht daran hindern, weiter zu kämpfen. Politisch
geht es jetzt darum, die Union auf ein neues Fundament zu stellen.
Die notwendige Festigkeit erhält dieses, wenn die nationalen
Parlamente souveräne Rechte aufgeben. Gespannt darf man sein, wie die
Anleger reagieren. Dass es gestern ruhig geblieben ist, sagt noch
nichts aus. Ein schneller Verkauf europäischer Staatsanleihen hätte
schließlich bei den Betroffenen zu großen Verlusten geführt. Man kann
nur hoffen, dass Draghi wenigstens das Ziel, die Spekulanten
abzuschrecken, auch mittel- und langfristig erreicht. Sonst hätte er
einen Eckpfeiler des europäischen Hauses völlig umsonst zertrümmert.
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