Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Europawahl

Europa geht weiter. Die positiven Mehrheiten in
Straßburg stehen. Die Oppositionellen von ernstzunehmenden Skeptikern
bis zu unbelehrbaren Rechtsradikalen und Linksextremen bleiben in der
Schmollecke. Sie haben nur das gewonnen: Möglichkeiten zu allerlei
Fensterreden, mehr aber nicht. Europäische Volkspartei und
Sozialisten bestimmen weiter die Wirtschafts- und Währungslinien, in
anderen Fällen werden Liberale und Mittelinks bei Bürgerrechten und
Datenschutz die Standards setzen. Soweit so gut für alle 28
Mitgliedsländer. Noch bevor die Europawahl gestern Abend vollständig
ausgezählt war, hatte das politische Berlin schon einen echten
Gewinner: die Sozialdemokraten. Sie haben den Abstand zur Union
gegenüber 2009 halbiert. Die Union erlitt das schlechteste Ergebnis
bei Europawahlen seit 1979, die SPD gewann verlorenes Terrain zurück.
Das ist ein Verdienst des Berlusconi-Bezwingers, furchtlosen
Knessetredners und Volkstribuns Martin Schulz. Der Zuwachs auch
gegenüber dem SPD-Bundestagsergebnis 2009 geht zugleich auf das Konto
der Gabriel-Linie in der Großen Koalition. Energiewende, Rente,
Mindestlohn alles SPD-Themen. Der Achtungserfolg der AfD, die nicht
mehr für die Rückkehr zur D-Mark plädiert, muss die Etablierten
aufhorchen lassen. Nach der Bundestagswahl (4,7 Prozent) festigt sich
eine neue Kraft. Die These, wonach neue Parteien meist nur einen
Schuss auf Bundesebene haben, gilt im Fall AfD nicht mehr. Die Union
muss sich fragen, was sie falsch gemacht hat. Erstmals zog der
Merkel-Bonus nicht. Jean-Claude Juncker band zwar in Deutschland die
meisten Wähler an sich, von ihm war aber mehr erwartet worden. Die
Kanzlerin selbst hat mit ihrem Abrücken vom Lissabon-Versprechen,
dass der stärkste Kandidat Kommissionspräsident werden soll, zur
Verunsicherung beigetragen. Größtes Ärgernis: Der populistische Kurs
der CSU trägt erhebliche Mitschuld am mäßigen Abschneiden. Bayerns
Sonderweg kann noch gefährlich werden für die Union. Die FDP hat es
bei der Bundestagswahl erlebt, als die Parteispitze für den Euro und
eine nicht unerhebliche Gruppe um den Herforder Frank Schäffler gegen
den Euro kämpfte. Diesmal hat die FDP nicht auf zwei Klaviaturen
gleichzeitig gespielt und trotzdem kein Deut besser abgeschnitten.
Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff hatte zuvor schon gesagt,
dass verlorenes Vertrauen ein nur sehr langsam wiederzugewinnendes
Gut ist. Grünen und Linken ist es nicht gelungen, ihre Rolle als
einzige Opposition im Bundestag in Europastimmen umzumünzen.

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