Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur FDP

Man darf sich Christian Lindner als
(selbst-)zufriedenen Menschen vorstellen. »Ich bin mit mir im
Reinen«, hat der FDP-Chef jetzt in einem Interview kraftvoll
behauptet. Und in der Tat: Die Bilanz des Oberliberalen nach einem
politisch turbulenten Jahr kann sich sehen lassen. Auf der Habenseite
stehen für die FDP immerhin zwei unerwartete Regierungsbeteiligungen
in Schleswig-Holstein und in NRW sowie vor allem die Rückkehr in den
Bundestag.

Gleichwohl fällt die Bilanz für die Liberalen alles andere als
makellos aus. Denn niemandem wird das Scheitern der
Jamaika-Sondierungen mehr angelastet als der FDP. Und so sieht sich
Lindner offenkundig genötigt, seine Interpretation des Jahres 2017
unter die Leute zu bringen. Seit Tagen reiht er ein Statement an das
andere. Erst lässt er die staunende Republik wissen, dass er sich ein
Jamaika-Bündnis durchaus vorstellen könne – aber bitte erst nach
Neuwahlen. Dann empfiehlt er CDU und CSU ungefragt, sich bloß nicht
von der SPD erpressen zu lassen und im Zweifel besser einer
Minderheitsregierung zu bilden.

Schließlich – sozusagen als Krönung seiner ganz persönlichen
Weihnachtsbotschaft an die Union – lässt er durchblicken, dass er
lieber auf die Zeit nach Angela Merkel warte, als mit ihr
Regierungsverantwortung zu übernehmen. Und FDP-Vize Wolfgang Kubicki
assistiert eilfertig dazu: »Mit Merkels Rezepten wird Deutschland
nicht bestehen können.«

Lindner und Kubicki sprechen damit das aus, was Jens Spahn längst
denkt, sich aber (noch) nicht zu sagen traut. Deutlicher ist der
Generationenkampf, der gegenwärtig in beinahe allen etablierten
Parteien zu beobachten ist, noch nie auf den Punkt gebracht worden.
Und unverblümter auch nicht. Ungewiss bleibt allerdings, wie die
Sache ausgeht.

Zwar ist Angela Merkels Position innerhalb der Union längst nicht
mehr so unangefochten wie einst. Dass die CDU aber ohne ihre
Frontfrau quasi über Nacht besser dastünde, ist schlicht Unfug. Und
ob die Christdemokraten auf die »guten« Ratschläge der Liberalen
gewartet haben, darf auch stark bezweifelt werden. Gut möglich also,
dass Lindner und Kubicki der Kanzlerin sogar ungewollt einen Gefallen
getan haben, da sich die Reihen hinter ihr nun fürs Erste nur noch
umso fester schließen.

Keine Frage: Christian Lindner hat Zeit, der 38-Jährige kann
pokern. Die FDP aber muss aufpassen, dass sie sich nicht wieder der
Selbstgefälligkeit ihres Führungspersonals hingibt. Das hat sie schon
einmal an den Rand des Abgrunds geführt. Eine Partei muss stets mehr
sein als eine Person. Und anstatt das Personal der Konkurrenz
verächtlich zu machen, sollten sich die Liberalen besser um ihre
eigene Programmatik kümmern. Beim Dreikönigstreffen in Stuttgart
könnten sie ja mal zeigen, was sie in dieser Hinsicht zu bieten
haben.

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Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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