Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Großen Koalition

Eines vorweg: Untätig ist diese Bundesregierung
nicht. 44 Gesetzesentwürfe hat die Große Koalition in den gut sieben
Monaten ihrer Amtszeit ins Parlament eingebracht – eine beachtliche
Zahl.

Und Schwarz-Rot hält, was es verspricht – was man wahrlich nicht
von jeder Regierung sagen kann. Rentenpaket durchgewunken,
Mindestlohn mit überragender Mehrheit beschlossen. Mangelnden Fleiß
kann man Regierung und Abgeordneten nicht ins Zeugnis schreiben,
wenn–s jetzt in die Sommerpause geht.

Mangelnden Stil übrigens auch nicht. Regiert wird fast
geräuschlos. Seit Union und SPD Ende November den Koalitionsvertrag
unterschrieben haben, musste der Koalitionsausschuss nicht ein
einziges Mal tagen. Nur zur Erinnerung: Als Vorgängerregierung hatten
CDU/CSU und FDP zum Vergleichszeitpunkt schon sämtliche Abgründe des
gemeinsamen Gegeneinander ausgelotet und sich als »Gurkentruppe« und
»Wildsäue« tituliert.

Das käme Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und dem
SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel nicht in den Sinn. Vor allem
Letzterer hat bemerkenswert viel aus einem bemerkenswert bescheidenen
Wahlergebnis gemacht. Nie war Gabriel als Parteivorsitzender so
unangefochten wie derzeit. Sollte es ihm gelingen, als
Bundeswirtschaftsminister die Energiewende weiter so zu gestalten,
dass er Unternehmen und Industrie (freilich zu Lasten der
Verbraucher) schont, könnte er am Ende tatsächlich noch für
kanzlerkandidatentauglich gehalten werden. Wer hätte das am Wahlabend
gedacht?

Das Beste aus Sicht der Regierenden aber: Die Opposition findet so
gut wie nicht statt und auch die Wähler scheinen sehr zufrieden zu
sein. Sieht man auf die jüngsten Umfragen, so ist unübersehbar, dass
das Wahlergebnis keine Momentaufnahme war. Würde an diesem Sonntag
wieder abgestimmt, ginge es fast auf die Nachkommastelle so aus wie
am 22. September 2013.

Also alles in bester Ordnung? Mitnichten. Allein mit ihren beiden
Großprojekten hat die Regierung einen Wechsel auf die Zukunft
ausgestellt, von dem keiner weiß, ob er gedeckt ist. Was wir wissen,
ist, dass das Rentenpaket ungerecht und falsch finanziert ist. Noch
dazu wird es sündhaft teuer. Der Mindestlohn bleibt vorerst nicht
mehr als ein Versprechen von mehr sozialer Gerechtigkeit. Dass das
Gesetz unvermeidlich war als Reaktion auf asoziale
Beschäftigungsverhältnisse und das Versagen der Tarifpartner, sagt
leider noch nichts über seine Qualität und mögliche unerwünschte
Nebenwirkungen aus.

Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht. Und gut koaliert ist nicht
gut regiert. Einen gehörigen Teil ihres Pulvers hat diese Große
Koalition nun verschossen. Und nichts darf darüber hinwegtäuschen,
dass sich die Partner bloß arrangiert haben. Einzig die grandiose
konjunkturelle Lage ist der Leim, der den Laden zusammenhält. Lange
wird Schwarz-Rot nicht mehr so zufrieden mit sich sein können wie
derzeit. Und wir sollten es jetzt schon nicht sein.

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261

Weitere Informationen unter:
http://