Westfalen-Blatt: das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Insolvenz von Gerry Weber

Keiner wünscht sich eine Insolvenz – auch nicht
eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Wobei der kleine Zusatz »in
Eigenverwaltung« immerhin bedeutet: Das zuständige Gericht traut dem
Management zu, das Unternehmen wieder in ein normales Fahrwasser zu
führen. In Fällen wie der Gerry Weber AG ist es sogar fast schon ein
Gütezeichen für das Sanierungskonzept, das vom Management erarbeitet
und ein Stück weit bereits umgesetzt wurde. Nur war die Zeit zu kurz,
um genügend Gewinn aus dem neuen Kurs zu ziehen. Auch
Langstreckenläufe werden manchmal erst auf den letzten Metern
entschieden. Und die Sanierung von Gerry Weber ist ein
Langstreckenlauf.

Offenbar waren die Gläubiger in ihrer Gesamtheit nicht bereit,
zurückzustecken. Nun müssen sie sich am Ende des Verfahrens mit einer
vermutlich niedrigeren Insolvenzquote zufrieden geben. Hier rächt
sich für Gerry Weber die verwickelte und in großen Teilen
intransparente Struktur auf der Darlehensseite der Bilanz. Darüber zu
diskutieren, ist jedoch müßig – genauso wie über andere Fehler der
Unternehmensleitung. Zu ihnen könnte man etwa den Bau des
überdimensionierten Logistikzentrums, die verschleppte Modernisierung
der Kernmarke sowie den gewaltigen Ausbau des eigenen Filialnetzes zu
einem Zeitpunkt zählen, als der stationäre Handel allgemein bereits
mit Problemen wie der wachsenden Online-Konkurrenz gekämpft hat.

Eine Diskussion darüber ist müßig, weil die Fehler ja schon
benannt wurden und eine Lösung bereits auf den Weg gebracht war. Wie
schwierig diese ist, zeigte sich in der vergangenen Woche, als der
Verlust für das vergangene Geschäftsjahr um satte 44,2 auf nun sogar
192,3 Millionen Euro heraufgesetzt wurde. An der Belegschaft liegt es
nicht, denn sie hat weitgehenden Sparmaßnahmen zugestimmt. Wie es
heißt, sind auch die Gründerfamilien und Mehrheitseigentümer zu
Verzichtmaßnahmen bereit. Schon aus dem Grund waren am Freitag
Meldungen in überregionalen Medien, Gerry Weber sei das nächste Opfer
der Krise in der Modebranche, verfrüht und hoffentlich falsch.

Die Insolvenz in Eigenverwaltung, so rufschädigend sie auch ist,
verschafft dem Vorstand einen zusätzlichen Handlungsspielraum. So
können Arbeits-, aber vor allem Mietverträge für zu viele Filialen an
zu schlechten Standorten mit kürzerer Frist gekündigt werden.
Immerhin ist Gerry Weber nach eigenen Angaben trotz Anmeldung der
Insolvenz noch so liquide, dass das Management sogar ohne weitere
Geldquelle bis mindestens Anfang 2020 auf dem jetzigen Niveau
weiterwirtschaften könnte.

Damit kann der Langstreckenlauf weiter gehen und am Ende das
erfüllen, was sich wohl ganz OWL wünscht: Dass Gerry Weber wieder zu
alter Stärke und zu altem Selbstbewusstsein zurückfindet.

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Kerstin Heyde
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