Er ist witzig, politisch, spirituell und kennt
keine Tabus mehr – jedenfalls nicht die, mit denen sich die Führung
der katholischen Weltkirche viel zu lange eingemauert hat. Papst
Franziskus ist auf seiner Nahostreise Israelis wie Palästinensern
ebenso auf die Füße getreten, wie er noch auf dem Rückflug die
drängendsten Journalistenfragen zu seinen eigenen machte:
– Zölibat? Ein Geschenk an die Kirche, aber kein Dogma!
– Missbauch? Abscheulich, die Reue geht weiter!
– Papstrücktritte? Ja, womöglich künftig öfter.
– Finanzskandal? Kehrt den Tempel gründlich aus!
Und: Können Christen, Juden und Muslime gemeinsam beten? Theologen
aller Weltreligionen kennen Gründe zuhauf, weshalb das ausgeschlossen
ist. Franziskus lädt kurzerhand zu genau dieser Unmöglichkeit mitten
in den Vatikan ein.
Seine freimütigen Worte und Gesten lassen die Amtskirche kaum noch
nachkommen. Und wenn ihn die Frage nach dem richtigen Ostertermin von
West- und Ostkirche aufs Glatteis locken soll, beweist er Humor: »Es
ist witzig zu fragen, wann ist dein Christus auferstanden? Nächste
Woche! Meiner ist schon letzte Woche auferstanden.«
Der neue Kirchenführer »vom Ende der Welt« geht seinen Weg
unaufhaltsam weiter, mitunter zur Verwirrung jener, die sprachlos
zurückbleiben. Franziskus hat nicht nur Politik und Theologie
aufgeschreckt, er hat vor allem eine tiefe Sehnsucht bei den
Gläubigen an der Basis geweckt.
Sein über allem schwebendes Reformversprechen darf jetzt nicht
enttäuscht werden. Jeder weiß, dass Neuerungen im Vatikan ihre Zeit
brauchen. Aber alle haben auch schon viel länger darauf gewartet, als
jetzt einer endlich begründete Hoffnungen macht. Die Aufbruchstimmung
in der Kirche ist mit Händen zu greifen, längst gesellt sich Ungeduld
hinzu. Das wird beim heute beginnenden Katholikentag in Regensburg zu
spüren sein.
Bischöfe und Priester sind dabei gar nicht glücklich. Kardinal
Reinhard Marx bremst die Hoffnung auf schnelle Verbesserungen für
wiederverheiratete Geschiedene vorsichtshalber herunter. Dabei steht
der westfälische Oberhirte in München und Freising gleichzeitig auf
dem Gas- und dem Bremspedal. Im innersten Reformzirkel um Franziskus
arbeitet er genau auf diesen Baustellen, will gewiss auch
Fortschritte, kann aber die heimische Herde kaum noch im Zaun halten.
Nicht auszuschließen ist, dass das muntere Kirchenvolk bei jedem
Kirchentag – inzwischen ganz gleich ob evangelisch oder katholisch –
Vertreter der alten Lehre gnadenlos auspfeift.
Vergleiche mit Johann Wolfgang von Goethes Ballade vom
Zauberlehrling verbieten sich an dieser Stelle. Dafür ist die
Modernisierungsfrage viel zu ernst und wichtig. Sie muss nicht nur
bei einer Pressekonferenz über den Wolken beantwortet werden, sondern
am Boden klare Gestalt annehmen.
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Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
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