Im Hochsommer war es ein Renner: Der
Polit-Fiction-Roman in der größten Tageszeitung Frankreichs, Le
Figaro, unter dem Titel »Hollande s–en va« – Hollande tritt ab. Er
erzählt, wie im Dezember 2015 der Staatspräsident zurücktritt,
Senatspräsident Jean Pierre Raffarin, einer der Barone in der
bürgerlichen UMP, interimistisch das Amt übernimmt. Auch das
konservative Wochenmagazin Valeurs Actuelles hat in einem Sommerroman
die Irrungen der Linksregierung aufgegriffen: »Le grand soulèvement«
– der große Aufstand. Darin sinniert Regierungschef Manuel Valls, man
zählt den 25. Juni 2015: »Vor einem Jahr habe ich gesagt, die Linke
könnte explodieren. Ich glaube, das passiert gerade…« Holt die
Wirklichkeit die Fiktion ein? Auf den ersten Blick könnte man sagen:
In Paris hat das Stolpern begonnen. Aber das hieße, den französischen
Präsidenten und seinen Premier zu unterschätzen. Es ist richtig, dass
Präsident François Hollande auf einem historischen Tief von 17
Prozent Zustimmung verharrt. Auch Premier Manuel Valls verliert
rasant an Rückhalt. Er liegt bei 34 Prozent. Richtig ist auch, dass
die Wirtschaftsdaten tiefrot blinken, Frankreich steht und ächzt in
einer leichten Rezession, die sich zu einer schweren entwickeln kann.
Die Grande Nation kränkelt. Eine schnelle Genesung ist selbst bei
einer Radikalkur unmöglich. Strukturelle Reformen brauchen Zeit, bis
sie greifen. Aber das Duo Hollande/Valls handelt nicht in Panik.
Schon seit Wochen trägt es sich mit dem Gedanken, den Wahlmodus zu
ändern. Bei Neuwahlen würden die Sozialisten mit dem aktuellen
Mehrheitswahlrecht gnadenlos untergehen. Deshalb wächst der Unmut in
der eigenen Partei. Mandatsträger auf allen Ebenen fürchten um ihre
Pfründe. Mit dem Verhältniswahlrecht würde man dagegen drei Fliegen
mit einer Klappe schlagen: Erstens würde die bürgerliche UMP viel
weniger zulegen als unter dem Mehrheitswahlrecht. Zudem müsste sich
UMP mit der rechtsextremen Front National die konservativen Stimmen
teilen. Das würde zu Streit im rechten Lager führen. Denn beide
Parteien sind für eine Koalition nicht reif. In der UMP toben
Machtkämpfen. Drittens: Die linken Parteien würden insgesamt weniger
verlieren. Hollandes Hoffnung lautet also: Entweder gelingt es so,
noch eine knappe Mehrheit mit den Parteien in der Mitte zu gewinnen
oder die UMP geht in eine Große Koalition mit den Sozialisten. In
beiden Fällen bliebe Hollande Chef im Ring. Deshalb hat er mit dem
Umbau der Regierung Valls eine neue Dynamik in Gang gesetzt. Er
gewinnt Zeit, um seinen Plan umzusetzen. Ähnlich verfuhr sein großes
Vorbild François Mitterrand vor 30 Jahren. Auch er führte das
Verhältniswahlrecht ein, was die bürgerliche Regierung später
rückgängig machte. Das Ende von Valls ersten Regierung ist nur ein
erster Schritt in Richtung Machterhalt. Auf Frankeichs Genesung muss
Europa noch warten.
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