Die SPD hat einer alten Tradition bei
Parteitagen abgeschworen. Sie hat sich in Berlin nicht
innerparteilich selbst zerfleischt. Jahrelang war dies das Ergebnis
solcher Treffen. Der linke Flügel ist in Schach gehalten worden.
Kommission bei der Rente und Kompromiss bei der Steuerpolitik: Ihren
Kuschelkurs konnte die Parteispitze auch über den letzten Tag des
Treffens retten. Ein Aufstand der SPD-Linken wurde abgewehrt.
Parteichef Sigmar Gabriel geht gestärkt hervor – ebenso seine
Mitstreiter Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Besonders
die Letztgenannten wollte die Parteilinke mit der Rücknahme wichtiger
Entscheidungen der Großen Koalition – wie der Rentenreform –
eigentlich beschädigen. Dieser Versuch ist gescheitert. Hat die
Partei hier einen Punktsieg errungen, offenbart sie an anderer Stelle
Schwächen. Ausgerechnet der umjubelte Auftritt von Altkanzler Helmut
Schmidt zeigt: Die SPD sehnt sich nach einem wie ihm. Er vereint den
Staatsmann, den leidenschaftlichen Herzenswärmer und den
scharfsinnigen Denker. Eine »Type« wie Schmidt fehlt. Es gibt zwar
die drei Charaktere innerhalb der SPD, die Schmidt in sich bündelt.
Doch dazu braucht es drei Personen – den Staatsmann Steinmeier, den
leidenschaftlichen Herzenswärmer Gabriel und den Denker Steinbrück.
Alles in einem kann die Partei nicht vorweisen. Gabriel hat die
Sozialdemokraten eindeutig nach links geschickt. Er nennt es
Mitte-Links. Ein Hauch von Klassenkampf wehte durch den Saal. Es ist
bei einem kleinen Links-Schlenker geblieben. Alles andere wäre auf
Dauer fatal. Den Spitzensteuersatz von 53 Prozent und somit den
Sprung ganz weit nach links hat die SPD abgelehnt. Versprechungen
sind gemacht, die Mehrheiten müssen sich noch finden. Sollte die SPD
Regierungsverantwortung übernehmen, muss sie sich vor ständigen
Koalitions-Kompromissen – Schwarz-Gelb leidet darunter – hüten. Die
Bürger wollen erkennen, warum sie SPD und nicht Union, FDP oder Grüne
wählen sollen. Der Weg muss vorgezeichnet sein und nicht ständig
geändert werden. Gabriel zeigt sich oft zu sprunghaft – seine große
Schwäche. In der Vergangenheit fiel die SPD eher durch mangelndes
Profil und Grabesruhe auf denn durch Aufbruchstimmung und klare
Visionen. Das Werben für eine Steuer auf Finanzgeschäfte sowie das
Hervorheben des Sozialen in der Marktwirtschaft sind Beispiele
sinnvoller Abgrenzung. Doch am Ende stehen Wahlergebnisse. Trotz
aller Euphorie beim Parteitag muss sich die SPD-Spitze an Zahlen
messen lassen. Und die sind nicht berauschend – die Wahl von
Hannelore Kraft als Parteivize ausgenommen. Der tosende Beifall nach
den 97,2 Prozent sprechen für sich. Von jetzt an wird mancher Genosse
die NRW-Ministerpräsidentin als Ass im Ärmel bei der Kandidaten-Frage
sehen. Von den drei Herren konnte sich beim Parteitag jedenfalls
keiner entscheidend absetzen.
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