Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Ukraine

Die Barrikaden in Kiew sind zu hoch. Weder
Regierung noch Opposition kommen hinüber. Und schon gar nicht
schaffen es die Aufständischen, von den Bergen aus Müll, Autoreifen
und Holz wieder herunterzukommen. Der Weg für eine friedliche Lösung
scheint verstellt zu sein und – selbstverständlich – ist der
autokratische Präsident Viktor Janukowitsch selbst das allergrößte
Hindernis. Für ihn geht es um Alles oder Nichts. Am Ende könnte er
mit der inhaftierten Julia Timoschenko den Platz tauschen und selbst
im Arbeitslager landen.

Genau das verlangt die zunehmend verzweifelte Protestbewegung, die
täglich neuen Blutzoll leistet und trotzdem seit Wochen mit
untauglichen Angeboten der Regierung nur verhöhnt wird. Die
»vorrevolutionäre« Lage in der Ukraine (EU-Europapolitiker Elmar
Brok) lässt in der Tat alles möglich erscheinen. Janukowitsch kann
schon morgen aus dem Amt gejagt werden. Er könnte aber auch wie 1980
General Wojciech Jaruzelski in Polen, den Lauf der Geschichte mit
eiserner Hand um Jahre aufhalten.

Das bedeutete, noch mehr Blut und Gewalt in Kiew – und im ganzen
Land. 11 von 27 Gebietsverwaltungen sollen sich dem Volkskongress
angeschlossen haben, selbst in den russischen Einflusszonen zeigen
sich Risse an der Basis der Machthaber.

Das heißt aber noch lange nicht, dass die Opposition ein
gemeinsames Konzept für die Zeit nach Janukowitsch und schon gar
nicht für die gespaltene Ex-Sowjetrepublik hätte. Im Gegenteil:
Zeiten der Unruhe und des Kontrollverlustes sind genau die Phasen, in
denen sich die Oligarchen in den 1990er Jahren die Ukraine unter den
Nagel reißen konnten.

Längst gibt es auch Buhrufe für Vitali Klitschko und den
derzeitigen Kopf der Timoschenko-Partei Arseni Jazenjuk. Auf den
Barrikaden von Kiew steht ein Mob, dessen Maximalforderungen
Verhandlungen und Diplomatie, die einzig sinnvolle Lösung,
verstellen. Eine Melange aus Hooligans, rechten Krawalltrupps und
Vorstadtschlägern reißt zunehmend das Heft des Handelns an sich. Sie
liefern der Regierung jeden Vorwand, ohne eigene Provokateure Militär
statt Polizei ausrücken zu lassen, um die Ukraine in Ketten zu legen.
Schon drohen die Noch-Herrscher mit dem Ausnahmezustand.

Mehr als Straße und Opposition hat der Präsident eine Lösung in
der Hand. Er müsste die Größe haben, den Übergang zu organisieren,
Neuwahlen des Präsidenten im Oktober zuzulassen und mit einem Rest
von Würde abzutreten. Er müsste die Verfassung von 2004 mit mehr
Befugnissen für das Parlament akzeptieren. Auch die Öffnung zur EU
statt der Bindung an Moskau gehört zu den unabdingbaren Forderungen
des Volkes, an denen Janukowitsch nicht mehr vorbeikommt.

Der Präsident weiß das. Aber dass er über diese vielen Hürden
hüpft, muss immer noch bezweifelt werden.

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Andreas Kolesch
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