Auch die Lage prägt die Gesinnung. Das ist nicht
erhaben, aber sehr menschlich. Mit den jüngsten Terrorwarnungen
steigt das Bedürfnis nach Sicherheit. Kein Wunder, dass das Thema
Vorratsdatenspeicherung wieder diskutiert wird, obwohl das
Bundesverfassungsgericht ein solches Gesetz erst am 2. März dieses
Jahres für nichtig erklärt hat. Damals war es zu dem Kuriosum
gekommen, dass Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als
Bundesjustizministerin eine Niederlage in einem Verfahren einstecken
musste, dass die FDP-Frau noch als Oppositionspolitikerin,
unterstützt von 35 000 Bürgern, federführend angestrengt hatte. Auch
jetzt lehnt die FDP eine allgemeine und systematische
Vorratsdatenspeicherung kategorisch ab. Ärger droht in der
schwarz-gelben Bundesregierung nun, weil Innenminister Thomas de
Maizière für die Union ein solches Gesetz fordert. Kurios ist auch,
dass CDU und CSU Unterstützung in Teilen der SPD finden, während die
Grünen und die Linkspartei auf Seiten der FDP sind. Es ist kein
Zufall, dass sich in dieser Frage die Lager der vergangenen
Legislaturperiode abbilden. Die Große Koalition war es schließlich,
die 2007 das Sammeln von Telefon- und Internetdaten beschlossen
hatte. Von den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung wird allerdings
gern übersehen, dass die Verfassungsrichter das Gesetzesvorhaben
mitnichten generell abgelehnt haben. Unter sehr strengen Vorgaben sei
eine Vorratsdatenspeicherung durchaus denkbar, befanden die Richter.
Keine Gnade fanden sie aber für die vorliegende Form des Gesetzes. Zu
Recht, weil eine ohnehin umstrittene EU-Richtlinie ausgesprochen
schlampig umgesetzt worden war. Einmal mehr hatte Karlsruhe eklatante
Mängel im gesetzgeberischen Handeln aufgedeckt. Überspitzt gesagt,
war die Große Koalition mit dem Versuch gescheitert, die Freiheit zu
schützen, indem sie sie abschafft. Dessen ungeachtet muss aber auch
klar sein, dass ein prinzipieller Verzicht auf Vorratsdaten den
Strafverfolgungsbehörden die Arbeit im Zeitalter von Computern,
Handys und Internet mitunter sehr erschwert. Wer elektronische Spuren
nicht verfolgen kann, weil es sie womöglich gar nicht mehr gibt, muss
auch bereit sein, alle daraus resultierenden Konsequenzen zu tragen.
Absolute Sicherheit kann es nicht geben, erst recht nicht in einer
freiheitlichen Gesellschaft. Diese Binsenweisheit zu beherzigen,
fällt leicht, wenn das Land sich sicher fühlt. Das aber ist in diesen
Novembertagen mit in Luftfracht versteckten Bomben, herrenlosen
Koffern an Bahnhöfen und Sprengstoff-Attrappen in Regionalzügen – wie
erst gestern in Bielefeld – nicht der Fall. Auf die schwarz-gelbe
Koalition wartet eine Gratwanderung. Herausgefordert fühlen sollten
sich vor allem die Liberalen – nicht nur von Amts wegen. Die
Justizministerin kann für die im ersten Regierungsjahr so oft
gescholtene FDP beweisen, dass sich Sicherheit und Freiheit nicht
perfekt, aber viel besser vereinbaren lassen, als es die Große
Koalition zuletzt gezeigt hat.
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Andreas Kolesch
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