Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Wirtschaftskrise

Wer den Zustand der Wirtschaft nur am Dax
abliest, könnte Zweifel bekommen: Gibt es die Krise überhaupt noch?
Zuletzt schraubte sich der wichtigste deutsche Aktienindex immer
wieder bis an die 8000-Punkte-Grenze. Gleichzeitig senkten die
führenden Wirtschaftsinstitute und zuletzt auch die Bundesregierung
ihre Prognosen für 2013. Ist ein halbes Prozent überhaupt noch als
Wachstum zu bezeichnen? Jedenfalls wird es nicht reichen, um den
deutschen Arbeitsmarkt weiter zu entlasten. Weil aber die Lage
jenseits der Landesgrenzen noch sehr viel schlechter ist, kommen von
dort schon wieder die ersten Forderungen, Deutschland möge doch bitte
seine Binnennachfrage ankurbeln. Womit denn, liebe Franzosen und
Italiener? Jetzt rächt es sich, dass die Europäische Zentralbank ihr
Pulver schon verschossen hat. Bei den Zinsen gibt es so gut wie
keinen Spielraum mehr nach unten. Also soll wohl der Staat in seine
Taschen greifen. Dort aber befindet sich heute nicht mehr, sondern
noch weniger Geld als vor Beginn der Euro-Krise. Sicher, die
europäische Währung hat sich in den vergangenen Wochen stabilisiert.
Sie hat gegenüber anderen Währungen sogar spürbar an Wert gewonnen.
Und was noch wichtiger ist: Sogar Länder wie Portugal können sich
heute wieder am internationalen Kapitalmarkt zu halbwegs erträglichen
Zinsen refinanzieren. Da zahlen sich die Rettungsschirme und Mario
Draghis Ankündigung, die EZB werde notfalls unbegrenzt Euro-Anleihen
ihrer Mitgliedsstaaten aufkaufen, mal aus. Unterm Strich hat sich
Europa aber nicht mehr als eine Pause erkauft. Die Ursache für die
Herabsetzung der Ratings und damit für den Druck auf die Staatskassen
ist nicht beseitigt. Auch nicht in Deutschland. Im Gegenteil. Die
Reaktionen auf die Ankündigung eines Sparhaushalts durch
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble deuten bereits darauf hin,
dass die Politiker nichts mehr wollen als die Krise möglichst schnell
vergessen. Damit werden sie sie jedoch um ein großes Stück
verlängern. Wie der Teufelskreis von steigender Staatsverschuldung,
Nullwachstum und Niedrigzinsen ein Land jahrelang in seinen Klauen
halten kann, zeigt das Beispiel Japan. Irgendwer muss schließlich die
Kosten der Krise irgendwie bezahlen. Im Augenblick trifft es vor
allem die Südeuropäer – nicht zuletzt, weil sie schon vor der Krise
über ihre Verhältnisse gelebt haben. Diesen Fehler, sich auf Kosten
der Zukunft übermäßig zu verschulden, dürfen wir nicht noch
verstärken. Gewiss: Es gibt staatliche Fördergelder, die sich
zumindest mittelfristig sogar rechnen – zum Beispiel in die
Energiewende und in Energiesparmaßnahmen. Darüber hinaus aber
verbieten sich staatliche Programme zur Förderung des privaten
Konsums von selbst. Da mögen die Nachbarn noch so charmant fragen
oder mit Hinweis auf die europäische Solidarität noch so lautstark
fordern: Erst müssen die Staatsfinanzen in Ordnung gebracht werden.

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