»In einem Jahr ist das alles vergessen.«
Vielleicht hat Christian Wulff damit sogar Recht. Denn vielleicht ist
er in einem Jahr gar nicht mehr Bundespräsident. Ob Wulffs aktuelle
Taktik des Aussitzens nun klug ist oder nicht: Vermutlich wird es
nicht mehr allzu lange dauern, bis Wulff zur Einsicht kommt und die
Brocken hinwirft. Das Staatsoberhaupt hat eine ganze Reihe von
Fehlern gemacht. Am Wochenende sind weitere hinzugekommen. Wulffs
Verhalten in der Kredit- und Medienaffäre lässt tief blicken. Aber
auch der Fall selbst gibt zu denken. Denn der Bundespräsident ist
längst nicht der einzige, der Fehler gemacht hat. Seit Beginn der
Affäre versucht die SPD, sich politisch souverän und moralisch
einwandfrei zu verhalten – mit mäßigem Erfolg. Nachdem Parteichef
Sigmar Gabriel bereits vor Tagen staatstragend und gönnerhaft betont
hat, seine Partei wolle den Rücktritt Wulffs nicht, schlägt seine
engste Mitarbeiterin Andrea Nahles aktuell ganz andere Töne an.
Sollte Wulff zurücktreten, will die SPD-Generalsekretärin vorgezogene
Bundestagswahlen – da kann man nur noch staunen. Und kaum hatte
Nahles dies in die Blöcke der Journalisten diktiert, widersprach ihr
Gabriel, dass davon keine Rede sein könne. Vielleicht glaubt die SPD
tatsächlich, die Öffentlichkeit mit solchen Tricks an der Nase
herumführen zu können. Stefan Müller, Parlamentarischer
Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, hat zu dem
Verhalten der SPD die richtigen Worte gefunden: »Die Forderung der
SPD nach Neuwahlen offenbart die Gewissenlosigkeit der
Sozialdemokratie, die Stabilität unseres Staates der Parteipolitik zu
unterwerfen. Aber wahrscheinlich möchte die verhinderte
Wahlkampfmanagerin Nahles Herrn Gabriel noch früher scheitern sehen.«
Aus dem Fall Wulff ist längst eine Politikdebatte der Parteien
geworden. Mindestens genauso fragwürdig wie das Verhalten einiger
Politiker ist das Handeln vereinzelter Medien. Ethikexperten halten
die Art der Berichterstattung zum Teil für bedenklich. Alexander
Filipovic, Ethikexperte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik
und Kommunikationswissenschaft, kritisiert zu Recht, dass der
Unterhaltungsjournalismus einiger Boulevardmedien die politischen
Dimensionen ausblendet und seiner politischen Verantwortung nicht
gerecht wird. Christian Wulff hat die Affäre am Wochenende mit einem
Begriff aus der Kriegsberichterstattung verglichen. Das
»Stahlgewitter« werde bald vorbei sein. Ernst Jünger hatte 1920 in
seinem Buch »In Stahlgewittern« seine Weltkriegs-Erlebnisse
geschildert. Noch vor Tagen hatte Wulff »Bild«-Chef Diekmann mit
»Krieg« gedroht. Vielleicht mag sich der Präsident angesichts der
Kritik wie im Kugel- und Granatenhagel fühlen. Obwohl die Lage für
ihn schon bedenklich genug ist, hat er sich erneut hochpeinlich im
Ton vergriffen – und daran sind nicht die Medien Schuld.
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