Nun sind es also tatsächlich die erwarteten 9,19
Euro je Stunde, auf die der Mindestlohn in Deutschland zum
Jahreswechsel steigen soll. Die Expertenkommission mit Vertretern von
Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaft hat sich an den reinen
Zahlen orientiert – und nicht an den Forderungen der verschiedenen
Interessensgruppen. Dass es 2020 einen zweiten Schritt auf 9,35 Euro
geben und nicht erst turnusgemäß 2021 die nächste Anhebung folgen
soll, ist so etwas wie ein Kompromiss. Die Gewerkschaften waren zuvor
für eine stärkere Erhöhung der untersten Vergütungsgrenze
eingetreten, für einen Mindestlohn, der auf mittlere Sicht
existenzsichernd sein solle. Die Wirtschaft hat vor einer zu starken
Anhebung gewarnt, die Beschäftigung kosten könne.
Klar ist, dass Menschen auch mit 9,35 Euro in der Stunde keine
großen Sprünge machen können. Für einen Vollzeitbeschäftigten
bedeuten rund 1600 Euro brutto knapp 1200 Euro netto im Monat.
Deshalb gehört zur Realität, dass viele Mindestlohnbezieher darauf
angewiesen sind und auch künftig sein werden, mit staatlichen Mitteln
aufzustocken, um über die Runden zu kommen. Und Armut im Alter bleibt
für Niedriglohnempfänger ein großes Zukunftsproblem.
Nichtsdestotrotz kommt dem Mindestlohn als Untergrenze eine
wichtige Rolle und Signalwirkung zu. Er hat vielen Arbeitnehmern
genützt. Und er hat nicht die von Kritikern prophezeiten Verwerfungen
am Arbeitsmarkt mit dem Wegfall zigtausender Jobs zur Folge gehabt.
Entscheidend ist, dass der Mindestlohn nicht nur auf dem Papier
steht, sondern auch tatsächlich im Portemonnaie der Arbeitnehmer
ankommt. Deshalb sind mehr und bessere Kontrollen unerlässlich. Für
eine angemessene Entlohnung der Beschäftigten, eine starke
Binnenkonjunktur und auch einen fairen Wettbewerb der Unternehmen ist
der Mindestlohn ein Baustein. Von noch größerer Bedeutung für viel
breitere Arbeitnehmerschichten aber ist die Tarifbindung. Um
Lohndumping und eine gefährliche Abwärtsspirale zu verhindern, muss
die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen gestärkt werden – so
wie es etwa im NRW-Gastgewerbe oder bei den Friseuren der Fall ist.
Denn inzwischen arbeitet hierzulande kaum noch jeder zweite
Beschäftigte in einem Unternehmen, das tarifgebunden ist. Gravierende
Einkommensunterschiede bei gleicher Arbeit und eine riskante
Wettbewerbsverzerrung sind die Folge.
Deshalb muss die Große Koalition ihrer Ankündigung, die
Tarifbindung stärken zu wollen, jetzt auch entschlossen Taten folgen
lassen. Um eine gute Bezahlung zu sichern, um Abstiegsängste zu
vertreiben – und auch um heute Altersarmut von morgen vorzubeugen.
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Andreas Kolesch
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