Westfalen-Blatt: Kommentar zu den Bauernprotesten

Das letzte Stück geförderter Kohle steht jetzt
im Schloss Bellevue. Nachdem Prosper Haniel Ende 2018 als
Deutschlands letztes Steinkohlebergwerk geschlossen wurde, erinnert
es am Sitz des Bundespräsidenten an einen Wirtschaftszweig, der die
Nachkriegsgeschichte geprägt hat wie kein anderer. Ein ganzes Land
schaute hin, als die Bergmänner noch einmal unter Tränen die Zeilen
des Steigerliedes schmetterten. Es war ein langer und schmerzvoller
Weg zum Abschied, den der Steinkohlebergbau gehen musste.

Was den Pathos angeht, hinkte die Landwirtschaft dem Bergbau immer
ein wenig hinterher. Dabei prägte – und prägt – sie
Nordrhein-Westfalen mindestens genauso sehr. Und auch schon deutlich
länger. Das gilt besonders für Ostwestfalen-Lippe. Umso
besorgniserregender ist, wie die Verschärfung der Düngeverordnung den
Bauern zuzusetzen scheint. »Ist der Landwirt tot, gibt es kein Brot«,
war auf einem Transparent beim Protest in Münster zu lesen. Daneben
baumelte eine Puppe am Galgen. So drastisch die Darstellung, so klar
die Botschaft: Die Landwirte fühlen sich, als hätte man ihnen einen
Strick um den Hals gelegt. Hintergrund der Verschärfung sind die
hohen Nitratwerte im Grundwasser. In landwirtschaftlichen Regionen
werden die Grenzwerte an einem knappen Drittel der Messstellen
überschritten. Als Ursache gilt der Dünger. Brüssel macht Druck auf
Deutschland, Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) muss
nachbessern. Den Druck gibt sie weiter an die Bauern, die wiederum
mit der Lösung des Problems nicht allein gelassen werden wollen.

Die Landwirte betonen immer wieder, dass ihnen der Schutz des
Grundwassers am Herzen liege. Das können wir ihnen glauben.
Schließlich würden sie selbst darunter leiden, wenn der Aufwand der
Trinkwasseraufbereitung durch zu viel Nitrat steigt und die
Wasserpreise nach oben gehen. Bei allem Protest muss allen
Beteiligten klar sein: Dass wir in Deutschland Wasser ohne Bedenken
aus dem Hahn trinken können, ist eines unserer höchsten Güter. Aber
(und hier lohnt sich ein Blick durch die Brille des Landwirtes): Wenn
schon Verschärfung, dann bitte mit Sachverstand. Zum Beispiel dürfte
die geforderte pauschale Kürzung der ausgebrachten Düngermenge um 20
Prozent in manchen Gebieten in der Praxis nur schwerlich umzusetzen
sein.

Fehlt dieses Augenmaß, geht–s mit der Landwirtschaft in
Deutschland und NRW langsam, aber stetig, bergab. Die ersten
Landwirte in OWL denken laut Bezirksverbandschef Hubertus Beringmeier
schon ans Aufhören, so sehr setzten ihnen die immer höheren
Anforderungen zu. Es ist eine Schreckensvorstellung, dass irgendwann
die letzte in Deutschland geerntete Ähre auf dem Schreibtisch des
Bundespräsidenten steht.

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Westfalen-Blatt
Kerstin Heyde
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