Westfalenpost: Ein Riss geht durch die Union

Vorgestern hatte sie noch von einem „ehrlichen
Ergebnis“ gesprochen, jetzt muss sich Angela Merkel fragen, ob ihr
Rückhalt in der Partei eigentlich bei 89,5 Prozent liegt – oder
vielleicht doch nur bei 51 Prozent. Ausgerechnet die Junge Union
löste beim Essener Parteitag einen Affront aus, ausgerechnet die
christlich-demokratische Nachwuchsorganisation gibt sich in der
Ausländerpolitik konservativer als die Parteispitze. JU-Chef Paul
Ziemiak aus Iserlohn ist in vielen Grundsatzfragen für seinen
Kontra-Merkel-Kurs bekannt; dass er nun die Bundeskanzlerin dazu
zwingt, sich gegen die (knappe) Mehrheit der Partei zu stellen, ist
neu. An den Regeln zur doppelten Staatsbürgerschaft ändert der
Parteitagsbeschluss erst einmal nichts. Der Kompromiss, den Union und
SPD vor zwei Jahren mühsam ausgehandelt haben, steht im
Koalitionsvertrag und wird vor der Bundestagswahl nicht mehr
geändert. Dafür werden nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch
die Realpolitiker in der CDU sorgen. Aber: Der Affront von Essen
verdeutlicht den Riss, der durch die Union geht. Er belegt, dass es
Merkel eben doch nicht gelungen ist, die Gräben zwischen ihren
Unterstützern und jenen zu schließen, die ihr vorwerfen, die Partei
zu weit nach links bugsiert zu haben. Ihr Auftritt war gut, aber
nicht gut genug, um die internen Differenzen beizulegen. Die
Harmonie, die der Parteitag zum Auftakt des Bundestagswahlkampfes
ausstrahlen sollte, ist dahin. Im Gegenteil: Die Flügelkämpfe werden
nun wieder an Schärfe gewinnen. Merkel muss sich noch deutlicher
positionieren, als sie es sich bisher getraut hat. Den Beschluss von
Essen einfach in der Schublade zu versenken, das geht nicht.

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