Westfalenpost: Knut Pries zum EU/Türkei-Gipfel

Als atmosphärische Störung hätte es ungelegener
nicht kommen können: Ausgerechnet zum Zeitpunkt, da die
Bundeskanzlerin demonstrieren muss, dass sie zurecht bei der
Bewältigung der Flüchtlingskrise auf den Partner Türkei baut, zeigt
die immer autoritärer gelenkte Demokratie des Präsidenten Erdogan ihr
hässlichstes Gesicht. Die rabiate Aktion gegen die
regierungskritische Zeitung Zaman zeigt: Der EU-Kandidat driftet
immer weiter weg von europäischen Vorstellungen zu Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit. Dass der Zeitpunkt zufällig ist, mag man kaum
glauben. Heute wird der türkische Ministerpräsident Davutoglu in
Brüssel erwartet, um die Ende November verabredete
Migrationspartnerschaft mit konkreten Vereinbarungen zu unterfüttern.
Was das Management der Flüchtlingskrise anlangt, waren von beiden
Seiten zuletzt vorsichtig optimistische Signale zu vernehmen. Mit
einer Zusage Ankaras, nunmehr alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um
die Schlepper schon vor dem Ablegen an der türkischen Küste zu
stoppen, hätte sich die Zusammenkunft mit Davutoglu in der Serie
frustrierend fruchtloser Krisengipfel als positive Ausnahme verkaufen
lassen. Die putineske Razzia gegen die unbotmäßige Zeitung hat diese
Hoffnung zerstört. Die samtpfötige Reaktion der EU-Chefdiplomatin
Mogherini zeigt: Dieser Gipfel wird zur Übung in praktischer
Schizophrenie – Schulterschluss mit einem Partner, zu dem man
zugleich möglichst weit auf Distanz gehen muss. Da hilft kein
politisches Geschick: Es bleibt eine zutiefst unappetitliche Übung,
die beiden Dimensionen des Umgangs mit dem Ex- und Halb-Demokraten
Erdogan in eine Balance zu bringen. Es führt leider kein Weg daran
vorbei – die Alternativen wären schlimmer.

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