Westfalenpost: Knut Pries zum Google-Urteil des EuGH

Je mehr wir – Nutzer, Betreiber, Regulierer – uns
mit dem Internet befassen, desto deutlicher stellt sich heraus, dass
die schlichten Weisheiten der Aufbruchsjahre nicht viel taugen. Das
gilt für die Heilsversprechen (Freiheit, Demokratie, Transparenz,
Gleichberechtigung) wie für die Parolen der Kontrolleure. Zu
letzteren gehört „das Recht auf Vergessen“. Es war das populäre
Etikett, unter dem die EU-Justizkommissarin Viviane Reding 2012 ihr
Konzept für einen umfassenden europäischen Datenschutz auf den Weg
brachte. Auch im weltweiten Netz, so die Maßgabe, solle der einzelne
die Verfügungsgewalt über seine persönlichen Daten behalten. Das
stieß auf massive Skepsis, ja Hohn. Nach dem Motto: Klingt gut, ist
aber Quatsch, weil technisch nicht machbar. Die Linkerei funktioniere
viel zu schnell. Das ist nicht falsch, nur übertrieben. Das jüngste
Urteil des Europäischen Gerichts sorgt hier für eine begrüßenswerte
Differenzierung: Auch wenn sich nicht alle Spuren beseitigen lassen
und es ein umfassendes Recht auf Vergessen nicht geben wird, muss
sich der Einzelne nicht gefallen lassen, dass aus dem Netz ein
ewiges, für jedermann einsehbares Register seiner sämtlichen Sünden
und Peinlichkeiten wird. Verjährung und Vorstrafen-Tilgung sind
wichtige Rechtsstaat-Prinzipien. Sie sind auch im Netz beachtlich.

Wer speichern kann, der kann auch löschen, sagt Reding. Das mag
naiv sein. Aber die Umkehr-Version: Wenn ich nicht alles löschen
kann, muss ich gar nichts löschen, ist eine Frechheit. Oder, wie der
Bundespräsident sagen würde: Freiheit im Netz – das kann auch der
digitale Radiergummi sein.

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