Es ist strategisch nicht ungeschickt, dass
Ministerpräsidentin Kraft im Fall Amri nun Mut zur Fehlerkultur
zeigen will. Politik sei ein „lernendes System“. Deshalb solle eine
unabhängige Expertenkommission ausleuchten, warum ein bekannter
Gefährder gewissermaßen unter den Augen der Behörden zwölf Menschen
in Berlin in den Tod reißen konnte. Kraft korrigiert damit ihren
angeschlagenen Innenminister Jäger. Der hatte den Eindruck
vermittelt, man sei bis „an die Grenzen des Rechtsstaats“ gegangen
und habe Amri trotz „durchgehender, engmaschiger Beobachtung“ nicht
stoppen können. So fatalistisch dürfen Regierungsverantwortliche
nicht auftreten, wenn sie Ängste und Vorurteile nicht weiter schüren
wollen. Erst recht nicht vier Monate vor einer Landtagswahl, die nach
Lage der Dinge zur Abstimmung über die Innere Sicherheit werden
dürfte. Wird die Opposition wirklich der rot-grünen Landesregierung
den Gefallen tun, Versäumnisse und Verantwortlichkeiten beim Fall
Amri im überparteilichen Geist und wissenschaftlichen Nebel einer
Expertenkommission verschwinden zu lassen? Es wäre sehr
verwunderlich. Vielmehr bietet der schlimmste islamistische Anschlag
auf deutschem Boden ihr die Möglichkeit, die Serie der
innenpolitischen Krisen in NRW als systemisches Versagen
hinzustellen. Kraft hat sich wie schon nach dem Misshandlungsskandal
in Burbach, den Hogesa-Krawallen oder der Kölner Silvesternacht loyal
hinter Jäger gestellt. Die Chance eines Befreiungsschlags in
Sicherheitsfragen hat sie sich damit selbst genommen.
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