Aachener Nachrichten: Das warÜberfällig – Der Bundestag beschließt den Mindestlohn; Ein Kommentar von Joachim Zinsen

Als Tiger gestartet, als Bettvorleger geendet?
Nein, den gestern vom Bundestag verabschiedeten Mindestlohn mit solch
einem Vergleich zu belegen, wäre polemisch und unfair. Die schöne
Großkatze ist zwar in den vergangenen Monaten zum mittelprächtigen
Kater geschrumpft. Aber immerhin: Das Tier lebt. Einen allgemeinen,
flächendeckenden Mindestlohn hatte die SPD versprochen. Davon kann
inzwischen nicht mehr die Rede sein. Zu viele Ausnahmen – für
Langzeitarbeitslose, für Jugendliche und für einzelne Berufsgruppen –
weichen das Gesetz auf, schützen die Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt
eben nicht. Starke Lobbyverbände und Teile der CDU/CSU haben da ganze
Arbeit geleistet. Zudem wird es durch die Sonderregelungen
schwieriger, die Einhaltung des Mindestlohns zu kontrollieren. Doch
bei aller Detailkritik: Das Gesetz war überfällig, es beseitigt die
schlimmsten Auswüchse auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Millionen
Arbeitnehmer sind dank des Mindestlohns künftig nicht mehr gezwungen,
für ein Hungersalär zu malochen. Selbst wenn dessen Höhe von 8,50
Euro pro Stunde angesichts des Reichtums in Deutschland und der
hiesigen Wirtschaftskraft mehr als bescheiden ist.
Unternehmerverbände und ihr nahestehende Wirtschaftswissenschaftler
behaupten seit Jahren, ein Mindestlohn werde zum Verlust
hunderttausender Jobs führen. Klappern gehört halt auch zu ihrem
Handwerk. Doch bislang gibt es aus anderen Ländern, die teilweise
seit Jahrzehnten Erfahrungen mit einer allgemeinverbindlichen
Lohnuntergrenze gesammelt haben, keine seriöse Studie, die größere
Arbeitsplatzverluste durch den Mindestlohn belegt. Der amerikanische
Präsident Franklin D. Roosevelt hat 1933, fünf Jahre, bevor er den
Mindestlohn in den USA einführte, einen bemerkenswerten Satz gesagt.
Er lautet: „Unternehmen, deren Erfolg lediglich davon abhängt, ihren
Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zu
zahlen, sollen kein Recht mehr haben, weiter ihre Geschäfte zu
betreiben.“ Das muss auch in Deutschland künftig gelten.

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