Allmählich scheint sich in Europa der Wind zu
drehen. Angela Merkel hat das während der vergangenen beiden Tage in
Brüssel zu spüren bekommen. Lange tanzten die meisten Staatschefs der
Eurozone nach ihrer Pfeife. Jetzt formiert sich deutlicher
Widerstand. Merkels Plan, alle Länder der Währungsunion auf einen
„Plan für Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz“ zu verpflichten, ist
jedenfalls vom Gipfel auf die lange Bank geschoben worden.
Ursprünglich wollte die Kanzlerin den Pakt bereits im vergangenen
Sommer verabschieden lassen. Nun wird frühestens im Oktober kommenden
Jahres darüber entschieden. Für die meisten Menschen in Europa ist
das eine gute Nachricht. Denn hinter dem beschönigenden Namen
„Wettbewerbspakt“ verbergen sich knallharte, neoliberale
Strukturreformen. Mit Einschnitten in die Sozialsysteme und durch
eine Deregulierung der Arbeitsmärkte sollen die Löhne in der Eurozone
gesenkt werden. Ähnlich, wie es derzeit in Spanien, Portugal oder
Griechenland durchexerziert wird. Dadurch glaubt die Kanzlerin, alle
Mitglieder der Währungsunion zu Exportnationen machen zu können, die
– wie Deutschland – kräftige Überschüsse im Außenhandel
erwirtschaften. Doch das kann nicht funktionieren. Innerhalb der
Eurozone allein schon aus logischen Gründen nicht. Export und Import
verhalten sich nämlich wie kommunizierende Röhren. Wenn ein Land mehr
Waren ausführt als einführt, muss ein anderes Land mehr Waren
einführen als ausführen. Lauter kleine Exportkönige – die gibt es
vielleicht im Märchen, aber nicht in der ökonomischen Realität. Diese
Zusammenhänge scheinen langsam auch der Kanzlerin zu dämmern. Deshalb
verweist sie gerne auf die Globalisierung. Doch auch ihre
Vorstellung, die gesamte Eurozone könne dank Lohndumping noch mehr
Waren auf den Weltmärkten absetzen, hat einen Haken. Je stärker die
Exporte aus der Eurozone nämlich steigen, desto kräftiger gerät auch
die Gemeinschaftswährung unter Aufwertungsdruck. Der Dollar würde
gegenüber dem Euro abgewertet. Damit wären die durch die Schwächung
der eigenen Binnenkonjunktur teuer erkauften internationalen
Wettbewerbsvorteile für die Eurozone schnell wieder futsch. Ob es
allerdings ökonomische Einsichten sind, die immer mehr europäische
Regierungschefs auf Distanz zu Merkels Lieblingsprojekt gehen lassen,
ist fraglich. Eine stärkere Rolle dürften bei der Absetzbewegung
politische Überlegungen spielen. Zum einen ist da die Furcht vor
einer zu großen deutschen Dominanz. Zum anderen haben die schweren
sozialen Verwerfungen in Südeuropa, die auch Folgen der Krisenpolitik
made in Berlin sind, viele Regierungschefs vorsichtiger gegenüber
Ratschlägen aus Deutschland werden lassen. Und schließlich stehen
Europawahlen vor der Tür. Die Angst geht um, dass bei dem Urnengang
viele Verlierer der Wirtschafts- und Finanzkrise rechtspopulistischen
und europafeindlichen Gruppen ihre Stimme geben. Merkels
„Wettbewerbspakt“ könnte schnell zu Wasser auf den Mühlen dieser
Kräfte werden. j.zinsen@zeitungsverlag-aachen.de
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