Aachener Nachrichten: Kein Verständis – Mit „Pegida“-Anhängern diskutieren? Nein. Ein Kommentar von Joachim Zinsen

Machen wir ein Experiment. Ersetzen wir in den
Äußerungen von „Pegida“-Anhängern und Konsorten einfach die Worte
„Muslime“ und „Moschee“ durch die Begriffe „Juden“ und „Synagoge“.
Würde dann irgendjemand versuchen, Verständnis für solche Parolen
aufzubringen? Würde irgendjemand dafür plädieren, die Sprüche als
einen Hilferuf sozial benachteiligter Schichten ernst zu nehmen?
Würde irgendjemand auf die Idee kommen, sich mit dem antisemitischen
Pöbel an einen Tisch zu setzen und über seine krude Gedankenwelt
diskutieren zu wollen? Wohl kaum. Ebenso konsequent sollten wir die
„Pegida“-Sympathisanten ächten, die heute Muslime pauschal zu neuen
Sündenböcken erklären. Was nicht zu entschuldigen ist Nein, ich habe
kein Verständnis für Menschen, die hasserfüllt nach unten treten.
Viele Demonstranten in Dresden und anderswo gehören sicherlich zu den
Benachteiligten. Sie sind arbeitslos oder werden mit Billiglöhnen
abgespeist. Ihr Ärger darüber ist verständlich. Andere stammen aus
der Mitte der Gesellschaft. Sie fürchten, angesichts einer immer
raueren und von knallharter Konkurrenz dominierten Arbeits- und
Geschäftswelt sozial nach unten zu rutschen. Auch diese
Abstiegsängste sind nachvollziehbar. Aber beides ist keine
Entschuldigung dafür, Minderheiten als Blitzableiter zu missbrauchen
und Frustration an Schwächeren abzureagieren. Ich habe kein
Verständnis für manche Menschen in den neuen Ländern, die jahrelang
von Transferleistungen profitiert haben, die auch von in Deutschland
lebenden Ausländern erwirtschaftet wurden. Ausgerechnet sie gönnen
jetzt Flüchtlingen nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Wer so wenig
Einfühlungsvermögen anderen gegenüber aufbringt, hat es nicht
verdient, dass ihm selbst Empathie entgegengebracht wird. Spiel mit
dem Feuer Ich habe kein Verständnis für Menschen, die Rattenfängern
hinterher rennen, aber bei jeder Gelegenheit anderen und vielleicht
sich selbst vorlügen, mit Rechtsextremisten nichts zu tun haben zu
wollen. Auch Mitläufer stehen in der Pflicht, sich darüber zu
informieren, vor wessen Karren sie gerade gespannt und von wem sie
instrumentalisiert werden. Ihnen sei gesagt: Der
Verfassungsschutzbericht 2013 für das Bundesland Sachsen weist 1635
Straftaten mit rechtsextremistischem, aber nur drei (!) mit
ausländerextremistischem Hintergrund auf. Wer sich angesichts solcher
Zahlen trotzdem mit dem rechten Pack gemein macht, von einer
Islamisierung Deutschlands schwadroniert und glaubt, durch das
Schüren billiger, menschenverachtender Ressentiments das christliche
Abendland retten zu müssen, mit dem bin ich nicht mehr bereit,
sachlich zu diskutieren. Ich habe aber auch kein Verständnis für
manche Parteipolitiker, die verantwortungslos mit latenten
Überfremdungsängsten in der Bevölkerung spielen. Meister dieses Fachs
sind die CSU und Teile der CDU. Wer wie der Biedermann Horst Seehofer
lautstark behauptet, man müsse „bis zur letzten Patrone“ eine
Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme verhindern, wer permanent und
wider besseres Wissen von einem massenhaften Missbrauch dieser
Leistungen durch Ausländer faselt, wer auf einem Parteitag
ausführlich über ein Burka-Verbot diskutiert, obwohl es in
Deutschland kaum Burka-Trägerinnen gibt und das Land wahrlich andere,
drängendere Probleme hat, der wird schnell zum Brandstifter.
Gefährliche Schlagzeilen Ich habe übrigens auch kein Verständnis für
die SPD, die es immer noch nicht geschafft hat, eine Gestalt wie
Thilo Sarrazin aus der Partei zu werfen. Er ist einer der geistigen
Väter von „Pegida“, darf sich aber immer noch Sozialdemokrat nennen.
Auch das ist eine Schande. Schließlich habe ich kein Verständnis für
manche Medien. Wer sich fragt, wo die in der deutschen Bevölkerung
weit verbreiteten Islamophobie herrührt, der braucht sich nur manche
Titelseiten selbst liberaler Blätter wie „Stern“ oder „Spiegel“
anzuschauen. Völlig undifferenziert heißt es dort: „Mekka Deutschland
– die stille Islamisierung“ oder „Gefährlich fremd – Das Scheitern
der multikulturellen Gesellschaft“. Solche Schlagzeilen garantieren
zwar Aufmerksamkeit. Doch gleichzeitig bereiten sie den geistigen
Nährboden für rechten Populismus und gefährden ein Erfolgsrezept
Deutschlands – unsere Internationalität.

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