Aachener Nachrichten: Kommentar: Im Verborgenen – Was am geplanten Freihandelsabkommen mit den USA verstört; Von Joachim Zinsen

Geheimverhandlungen können Verschwörungstheorien
provozieren. Über ihr geplantes Freihandelsabkommen TTIP verhandeln
die EU-Kommission und die US-Administration nun schon seit geraumer
Zeit hinter verschlossenen Türen. Basiert deshalb die inzwischen
immer massivere Kritik an TTIP auf Verschwörungstheorien – so wie es
uns die Verfechter des Abkommens suggerieren wollen? Keineswegs! Das
Wenige, was aus den Gesprächen bisher an die Öffentlichkeit gedrungen
ist, zwingt zu höchster Vorsicht. Denn wenn alles so wie bisher
angedeutet kommt, drohen durch das Abkommen Gefahren. Gefahren für
Europas Verbraucher, Gefahren für Europas Arbeitnehmer, vor allem
aber Gefahren für unser Rechtssystem und unsere Demokratie. Kafkaeske
Schattenjustiz Niemand hätte etwas dagegen einzuwenden, ginge es bei
dem Abkommen alleine darum, die wenigen noch vorhandenen Zölle
zwischen den beiden Wirtschaftsräumen abzubauen. Doch dieses Ziel ist
allenfalls ein Randaspekt der Verhandlungen. Eine deutlich
zentralere Rolle spielt da schon die Vorgabe, zwischen den USA und
der EU alle Standards anzugleichen, die den Marktzugang von Produkten
und Dienstleistungen regeln. Gut möglich, dass also bald auch bei uns
chlorbehandelte Hähnchen oder gentechnisch veränderte Produkte made
in USA angeboten werden dürfen, ohne dass der Gesetzgeber dies
einschränken kann. Die EU-Kommission beteuert zwar, dass kein
europäischer Standard abgesenkt werden soll. Die Frage ist nur: Was
wollen die Amerikaner? Kaum jemand weiß es. Selbst die
Europaabgeordneten werden von der Kommission im Unklaren gelassen.
Der eigentlich kritische Kern der Verhandlungen ist jedoch der
geplante Passus zum Investitionsschutz. US-Unternehmen sollen künftig
EU-Staaten auf milliardenschweren Schadenersatz verklagen können,
wenn sie durch neue Gesetze ihre Geschäfte beeinträchtigt sehen.
Würde die Bundesregierung beispielsweise einen höheren Mindestlohn
durchsetzen, Arbeitsschutzvorschriften verbessern oder schärfere
Umweltnormen erlassen wollen, liefe sie Gefahr, von einem US-Konzern
vor Gericht gezerrt zu werden! Vor ein ordentliches Gericht? Nein,
für solche Streitfälle gibt es private Schiedsgerichte, die mit
Spezialanwälten besetzt sind, die im Geheimen tagen und deren Urteile
nicht anfechtbar sind. Eine unkontrollierte Schattenjustiz – das
klingt nach einem kafkaesken Horrorgemälde, sie ist aber längst
Realität. Da in den vergangenen Jahren weltweit bereits hunderte,
meist bilaterale Investorenschutzabkommen geschlossen wurden,
verklagen inzwischen private Konzerne immer häufiger Staaten, wenn
ihnen deren Politik nicht passt. Bekanntestes Beispiel ist der
schwedische Energiekonzern Vattenfall, der von der Bundesregierung
wegen des Atomausstiegs 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz haben
möchte. Oder der US-Tabakriese Philip Morris, der Uruguay auf die
Zahlung von zwei Milliarden Dollar verklagt hat, nachdem das Land
Gesetze für Bekämpfung des Rauchens erlassen hat. Die Büchse der
Pandora ist also längst geöffnet. Durch ähnliche Regelungen im
europäisch-amerikanischen Abkommen würden allerdings die letzten
Dämme brechen. Demokratisch gewählte Parlamente wären kastriert,
hätten ihre Politik privaten Profitinteressen unterzuordnen. Es gäbe
plötzlich das Grundrecht auf ungestörte Investitionen. Entschlossenes
Jein Dass solche Aussichten Ängste und Proteste hervorrufen, liegt
auf der Hand. Grüne, Linke und teilweise auch die SPD (sie glänzt mit
einem entschlossenen „Jein“ zum geplanten Abkommen) haben sie
aufgenommen. Von der Union und der EU-Kommission wird ihnen deshalb
Panikmache vorgeworfen. Würden die Kritiker tatsächlich übertreiben,
könnten ihnen die Befürworter des Abkommens leicht den Wind aus den
Segeln nehmen. Sie müssten nur dafür sorgen, dass die Verhandlungen
endlich transparent gestaltet werden. Doch dieser Wille ist bisher
nicht erkennbar.

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