Persönlicher Ehrgeiz schlägt politischen Anspruch:
Tarek al-Wazir wird wohl bald als Wirtschafts- und Verkehrsminister
Hessen mitregieren. Seine Partei will erstmals in einem Flächenland
ein Bündnis mit der CDU bilden. Von Wiesbaden geht das
bundespolitische Signal aus: Wenn die Grünen selbst die
stockkonservativen hessischen Christdemokraten für koalitionsfähig
halten, dann ist Schwarz-Grün ab sofort überall möglich. Al-Wazir
läutet damit nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Partei
eine Zeitenwende ein. Der Preis für die wundersame neue Freundschaft
ist jedoch hoch. Denn in dem Koalitionsvertrag hat sich die grüne
Parteiführung von einigen ihrer alten Kernanliegen verabschiedet.
Klare Forderungen sind zu vagen Absichtserklärungen geschrumpft oder
– schlimmer noch – fallen gelassen worden. Beispiel Frankfurter
Flughafen: Vor der Wahl haben die Grünen dafür gekämpft, aus
Rücksicht auf die Anrainer des Verkehrsknotenpunkts das
Nachtflugverbot auszuweiten. Der jetzt mit der CDU vereinbarte
Kompromiss setzt darauf, dass die Luftfahrtbranche anhand von ein
paar Vorgaben selbst für längere nächtliche Lärmpausen sorgt. Einige
Bürgerinitiativen und Umweltverbände, also Teile des grünen
Kernmilieus, fühlen sich deshalb verschaukelt. Wundern darüber dürfen
sich Al-Wazir und seine Mitstreiter nicht. Beispiel Finanzen: Vor der
Wahl drängten die Grünen auf höhere Steuereinnahmen. Jetzt haben sie
sich zu einem knallharten Sparkurs verpflichten lassen. Leidtragende
sind Hessens Polizeibeamte und andere Landesbedienstete. Sie sollen
sich in den kommenden Jahren mit einer allenfalls minimalen Erhöhung
ihrer Besoldung zufrieden geben. Zudem wollen die Regierungspartner
in spe Stellen in der Landesverwaltung abbauen und kräftig im
Hochschulbereich sparen. Das verträgt sich allerdings so gar nicht
mit dem Anspruch der Grünen, für Investitionen in die Zukunft zu
sorgen und gleichzeitig die öffentliche Daseinsvorsorge nicht weiter
zu schwächen. Auf der Suche nach der Identität Seit der Niederlage
bei der Bundestagswahl sind die Grünen auf der Suche nach der eigenen
Identität. Ihr linker wie rechter Flügel betont die Eigenständigkeit
der Partei. Dazu gehört natürlich, dass die Grünen sich nicht alleine
an die SPD binden und ihre Regierungsbeteiligung von Inhalten
abhängig machen. Dass die Partei dabei auch Kompromisse mit den
jeweiligen Partnern eingehen muss, ist ebenfalls selbstverständlich.
Aber sie darf sich nicht zu billig verkaufen und beliebig werden. Im
Falle Hessen sehen Teile der grünen Basis diesen Sündenfall gegeben.
Manche fürchten sogar, in Wiesbaden werde durch eine Mesalliance mit
den alten Intimfeinden von der CDU die Axt an die Wurzel ihrer Partei
gelegt. Auch wenn diese Angst in manchen Ohren übertrieben klingt,
heftig widersprechen mag man ihr nicht.
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