Aachener Zeitung: Auf höchster Ebene / Hollandes und Merkels Mission darf nicht misslingen / Kommentar von Peter Pappert

Hollande und Merkel – mehr geht nicht. In der
aktuellen dramatischen Situation wäre es im Prinzip und im Sinne
eines einigen Europas zwar besser, wenn EU-Kommissionschef Juncker
und EU-Ratspräsident Tusk nach Kiew und Moskau reisen würden. Aber so
weit ist die Europäische Union leider (noch) nicht. Die beiden würden
in jenen beiden Hauptstädten nicht ernstgenommen, weil sie in den
Hauptstädten der EU-Staaten nicht ernst genug genommen werden, um
tatsächlich im Namen von 28 Regierungen Druck auszuüben. Also Merkel
und Hollande. Zwar gilt die Aussage, ohne Paris und Berlin laufe in
Europa nichts, längst als Platitüde, aber sie stimmt. Nur haben sich
beide Seiten seit längerem nicht darum geschert. Jetzt gehen sie
gemeinsam in die politische Offensive, und Europa demonstriert damit
eben doch Einigkeit. Diese Spitzenmission – abseits der üblichen
diplomatischen Etikette und Eitelkeiten – ist ungewöhnlich. Man
könnte sie auch als unangemessen werten, weil sie demjenigen
entgegenkommt, der seit seiner Aggression im vorigen Jahr unentwegt
mit dem Feuer spielt. Merkel und Hollande nehmen in Kauf, als
Feuerwehr dem Brandstifter Hilfe anzubieten. Die französisch-deutsche
Initiative ist auf dieser höchsten Ebene ein Wagnis. Dass Hollande
und Merkel es eingehen, ist ein Indiz für die Brisanz der Situation.
Offensichtlich haben Paris und Berlin mehr als genug Hinweise, dass
die Lage in der Ostukraine extrem gefährlich ist. Also werden sie
auch in Kiew Poroschenko zu Mäßigung und Zurückhaltung drängen
müssen. Dort haben sie allerdings mehr Druckpotenzial als im Kreml;
sie müssen es nutzen. Statt aufs Völkerrecht setzt Putin auf das
Recht des Stärkeren und die Macht des Autokraten, die sich
rücksichtsloser ausüben lässt als die des Demokraten. Deshalb tut
sich der Westen so schwer. Russlands Luftwaffe provoziert seit
Monaten Zwischenfälle wie zu schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges.
Mit seiner „Neurussland“-Propaganda und der Parole, „russische Erde
einsammeln“ zu wollen, setzt Putin den Primat der Politik und den
gesamteuropäischen Konsens der letzten beiden Jahrzehnte außer Kraft.
Mit dieser Parole könnte er noch alle möglichen Aggressionen
begründen. Wer will es den Polen und Balten verdenken, dass sie hoch
sensibel sind. Gegenüber Merkel und Hollande kann sich der russische
Präsident heute in Moskau die Winkelzüge, Verschleierungen und
Unverbindlichkeiten der letzten Monate nicht mehr leisten. Er ist
verantwortlich, und diese Verantwortung muss er wahrnehmen – so oder
so. Dazu muss er sich verbindlich und verlässlich äußern. Wenn die
deutsch-französische Initiative misslingt, wird es so bald keine neue
geben. Dann sprechen nur noch die Waffen. Dann ist für alle Seiten
schnell viel mehr zerstört und verloren.

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