Die berühmten Fragebögen, die mehr oder weniger
prominenten Zeitgenossen immer wieder mal vorgelegt werden, enthalten
manchmal die Frage nach „der größten militärischen Leistung“. Am
häufigsten lautet die Antwort: „Operation Overlord“ – die Landung der
Alliierten an der Normandie. Diese Einschätzung leuchtet ein – auch
jenen, die sich mit Militärstrategie und -taktik nicht auskennen. Mit
dem 6. Juni – D-Day – begann die Befreiung Europas und nicht zuletzt
Deutschlands, die Befreiung von einem verbrecherischen deutschen
Regime, das mit Mord und Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung
große Teile des Kontinents brutal besetzt hielt. Der 6. Juni 1944 war
ein schlimmer, blutiger, tödlicher Tag, aber er ist – zumal in der
historischen Perspektive – auch ein glücklicher Tag, ein
entscheidender Tag für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, gegen
Diktatur, Knechtschaft, Willkür, Rassismus und Antisemitismus.
Freundschaft
US-Amerikaner, Briten, Kanadier, Franzosen, Polen kämpften für das
Gute, für den Sturz des Tyrannen. Also kämpften sie zwar gegen die
Deutschen, aber letztlich für die Deutschen. Das verblendete Volk
hierzulande erkannte das damals nicht; heute ist es sich dessen
bewusst. Es war in jenen Juni-Tagen im Norden Frankreichs ein
hartnäckiges, grauenvolles und verlustreiches Ringen. Was mit diesen
Kämpfen in der Normandie begann, sich in den Folgemonaten über
Frankreich, Belgien und die Niederlande hinzog bis zur Kapitulation
Aachens und den Kämpfen im Hürtgenwald im Herbst und schließlich zum
8. Mai 1945 trug in sich schon den Keim einer wunderbaren
Freundschaft – der zwischen der Bundesrepublik und den USA. Das ist
in diesen Tagen nicht der unwichtigste Aspekt des Gedenkens. Denn bei
aller Kritik an manchem selbstherrlichen Gehabe Washingtoner Politik,
bei allem berechtigten Ärger über hemmungslose US-Geheimdienste:
Obama steht den Deutschen viel näher als Putin! Das festzustellen,
ist eigentlich banal, es ist eine Selbstverständlichkeit. Doch man
wundert sich seit Wochen über gar nicht so wenige Äußerungen, die vom
Gegenteil auszugehen scheinen, über Leute, die mehr Verständnis für
den Völkerrechts- und Demokratieverächter im Kreml haben, als sie
Sympathie für den Mann im Weißen empfinden. Heute also schaut die
Welt auf den Strand von Ouistreham. Seit Tagen sind in der Normandie
sicherlich auch manche Schlachten- und Uniform-Enthusiasten
unterwegs. Was sich dort abspielt, sollte aber niemand nur als
überflüssiges oder gar martialisches militärisches Zeremoniell
missverstehen. Es ist der berechtigte Stolz freier Menschen auf ein
Unternehmen, das sich niemand gewünscht hatte, zu dem die freie Welt
gezwungen war, das sie unter enormen Opfern, mit Selbstbewusstsein
und der Überzeugung auf sich nahm, für eine gute Sache zu kämpfen.
Gedenken
Rasche Analogien zwischen heute und 1914 oder 1944 taugen nicht –
weder für die Analyse der Gegenwart noch zum Verständnis der
Vergangenheit. Der Sinn der Gedenkfeiern könnte darin liegen, bei den
Völkern und ihren Repräsentanten Bewusstsein zu schärfen. Kanzlerin
Merkel wird sich bewusst sein, welch großes Glück sie hat, als
Repräsentantin des Landes, das vor 70 Jahren die Unmenschlichkeit
repräsentierte, dabei und als Freundin geachtet zu sein. Mit Putin
und dem neuen ukrainischen Präsidenten Poroschenko sind zwei
Staatschefs in der Normandie, deren Länder mehr als nahezu alle
anderen unter dem Krieg gelitten haben; sie werden wissen, wie sehr
„Overlord“ auch ihren Völkern geholfen hat. Obama müsste die
Erinnerung bewusst machen, wer die engsten Verbündeten der USA sind,
wo die stärkste Verbundenheit in den Grundwerten zu finden ist.
Gemeinsamkeit
Das Zusammentreffen und die Erinnerung an 1944 kann insofern
durchaus eine gute Grundlage sein, diese Staatenlenker
zusammenzuführen. Niemand sollte davon heute konkrete Schritte oder
schnelle Verlautbarungen erwarten. Darum geht es nicht. Es würde
reichen, wenn der Rückblick auf den D-Day bei den Beteiligten das
Bewusstsein schärft für ihre gemeinsame Verantwortung und dafür, was
Gemeinsamkeit vermag.
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