Aachener Zeitung: Kommentar Abfuhr fürs Politbüro Der Einfluss der Parteien wird stark eingeschränkt Bernd Mathieu

Das ist erfreulich klar und ermutigend: Übereifrige
Partei-Funktionäre haben vom Ersten Senat des
Bundesverfassungsgerichts eine öffentlich-rechtliche Zurückhaltung
verordnet bekommen, auf die man nach all den Einmischungen kaum zu
hoffen wagte. Da rief ein Generalsekretär aus Bayern an, um auf den
Schnitt eines aktuellen Films über den grandiosen Parteitag Einfluss
zu nehmen. Da setzten sich 2009 die Spitzenfunktionäre Roland Koch
und Edmund Stoiber im ZDF-Verwaltungsrat gegen das Votum des
Intendanten durch und wählten nur aus politischen Gründen und ohne
jede Hemmung den Chefredakteur Nikolaus Brender nicht mehr wieder.
Der Journalist war nicht stromlinienförmig, nicht zu beeinflussen,
viel zu unabhängig. Wie unangenehm und lästig! Das ZDF ist leider
kein Einzelfall. Auch in den ARD-Anstalten mischen seit Jahrzehnten
die politisch eingefärbten Rundfunk- und Verwaltungsräte in den
Entscheidungen über wichtige Positionen kräftig mit. Sie sind stets
ebenso einseitig wie besserwisserisch dabei, wenn es um Intendanten,
Programmdirektoren, Chefredakteure geht. Wir sind weit gekommen: Das
oberste Gericht muss die Parteien in ihrem maßlosen Einfluss und
ihrer Anmaßung stoppen – kein gutes Zeugnis für lupenreine
Demokraten. Die Entscheidung ist deutlich formuliert, und die
Botschaft lautet: Haltet Euch zurück! Beendet den unseligen
Parteienproporz! Nehmt die aktuellen Strukturen und Realitäten einer
modernen und transparenten Gesellschaft zur Kenntnis! Haltet Euch
nicht für so wichtig, Ihr seid nicht mehr die Alleinbestimmer. Mit
den Hinterzimmer-Absprachen muss Schluss sein. Das Gebot der
Staatsferne gibt es uns allen noch einmal in juristisch verbindlicher
Form schriftlich: Politiker und Journalisten sind voneinander
unabhängig, sie sitzen nicht in einem Boot, sie bewegen sich nicht a
priori in die selbe Richtung, sie nehmen unterschiedliche Interessen
wahr, und sie dürfen nicht aufeinander angewiesen sein. Damit ein
öffentlich-rechtlicher Sender nicht zum Staatsfunk mutiert, muss er,
so die Richter, die Vielfalt unserer Gesellschaft sichern und die
Zusammensetzung der Organe so regeln, dass, so heißt es im Urteil,
„Personen mit möglichst vielfältigen Perspektiven und
Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens“ erfasst
werden, „wechselnd auch kleinere Gruppierungen“. Da gibt es noch eine
Menge Arbeit bei der gerechten Berücksichtigung von Organisationen,
Verbänden und Religionsgemeinschaften und ihren berechtigten
Interessen. Die Politbüros und ihre Offensivkräfte werden murren und
schimpfen. Das tun sie sowieso; denn Versuche, auf die
Berichterstattung Einfluss zu nehmen, sind Alltag, auch Zeitungen und
Zeitschriften gegenüber. Viele Politiker fühlen sich allzeit schlecht
behandelt, falsch verstanden, zu wenig gewürdigt. Und jetzt werden
diese unfähigen und bösartigen Journalisten vom Verfassungsgericht
gestützt. Was für eine ungerechte Welt!

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