Lebensslang für den „Schlächter vom Balkan“. Nach
moralischen Maßstäben kann keine Strafe die Schuld aufwiegen, die
Ratko Mladic auf sich geladen hat, als unter seinem Kommando im Juli
1995 in Srebrenica mehr als 8000 bosnische Muslime von christlichen
Serben massakriert wurden. Dennoch schafft das Urteil des
UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien ein
Mindestmaß an Gerechtigkeit, auf das die Mütter von Srebrenica viel
zu lange warten mussten. Mit dem Mladic-Urteil wird 26 Jahre nach
Beginn des Bürgerkrieges das letzte Kapitel dieses ersten
Völkermordes auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg
geschrieben. Große Hoffnungen waren mit dem UN-Tribunal verbunden,
als es 1993 seine Arbeit aufnahm. Zum ersten Mal seit den Nürnberger
Prozessen schien es so, als ob die Verantwortlichen für Vertreibung,
Massen- und Völkermord einer gerechten Strafe zugeführt werden
könnten. Ob das den Richtern in vollem Umfang gelungen ist, darf
schon ob der schieren Dimension der Taten bezweifelt werden. Waren
selbst die Nürnberger Prozesse im Wesentlichen nach zwei Jahren
abgeschlossen, benötigte das Gericht in Den Haag 24 lange Jahre! Mit
der Folge, dass immer weniger von jenen am Leben sind, die Angehörige
in Srebrenica oder auf den anderen Schlachtfeldern der
Jugoslawienkriege verloren haben. Und mit ihnen stirbt langsam aber
sicher auch die Erinnerung an die Gräuel, für die sich zahlreiche
Kriegsverbrecher in Den Haag verantworten mussten. Etliche Täter
wurden verurteilt, einige Angeklagte – wie Serbiens Ex-Präsident
Slobodan Milosevic – ereilte der Tod früher als der Richterspruch.
Viele wurden auch trotz erdrückender Beweislast freigesprochen. Alle
hatten gemein, dass sie das Tribunal als Propagandabühne benutzten.
Eine Demütigung für Opfer und Hinterbliebene. Letzter unrühmlicher
Akt: Mladic, der noch während der Urteilsverkündigung für einen Eklat
sorgte und aus dem Gericht entfernt wurde. Es bleibt ein fahler
Beigeschmack, denn letztlich wurde nur ein Bruchteil der
Kriegsverbrecher dingfest gemacht. Erst als Serbien mit einem
Beitritt zur EU liebäugelte, war man in Belgrad bereit, die
Haupttäter widerwillig auszuliefern. Überhaupt hat die Arbeit der
Richter nicht zu der notwendigen, schonungslosen Aufarbeitung der
Kriege im ehemaligen Jugoslawien geführt. Serbische Politiker sehen
ihr Land immer noch als Opfer fremder Mächte, serbische Schulkinder
in der „Republika Srpska“ erfahren in ihren Schulbüchern weiterhin
nichts über den Völkermord. Auch Bosnien und selbst das EU-Mitglied
Kroatien tun sich schwer mit ihrer Schuld. Die aufgerissenen Wunden
können so nicht heilen. Ein Resümee der Arbeit des Tribunals fällt
schwer. In vielen Regionen der Welt genießen Verbrecher staatlichen
Schutz, sie werden niemals für ihre Taten büßen. Schauen wir in die
Ostukraine, wo sich einige Herrschaften derzeit für eine juristische
Behandlung qualifizieren. Aber glaubt man im Ernst, dass aus dem
Reich von Kremlchef Wladimir Putin solche Männer jemals einer
Verurteilung durch ein internationales Tribunal zugeführt werden?
Wohl kaum. Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat zumindest
einen Anfang gemacht. Es bedeutet vielleicht den Aufbruch in eine
neue Epoche, eine Epoche, in der Verbrechen gegen die Menschlichkeit
nicht länger ungestraft bleiben. Und das ist, bei allen Mängeln und
Unzulänglichkeiten, immerhin ein Hoffnungsschimmer.
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