Aachener Zeitung: Kommentar: Langatmig, lustlos / Aber vielleicht kommt ja noch was von Schwarz-Rot / Peter Pappert

Wenn eine Regierung ihre Ansichten und Vorhaben
lange und langatmig vortragen kann, während der Opposition kaum Zeit
bleibt, gründlich dagegen zu halten, kann von Debatte eigentlich
keine Rede sein. Aber die erste große Aussprache stand gestern auf
der Tagesordnung des Bundestags. Die Kanzlerin und die übrigen Redner
der Koalition vermittelten den Eindruck, dass sie keine Freude an
Schwarz-Rot haben; was eine tolle Basis für vier Jahre ist. Lustlos
war das gestern. Und weil das so ist, kommen bei der Kanzlerin solche
Sätze raus: „Der Mensch steht im Mittelpunkt unseres Handelns.“
Donnerwetter! Wenn das die Kaninchen hören, werden sie Proviant
bunkern, und auf dem Wochenmarkt gibt es keine Möhren mehr. Das hat
man dann von Schwarz-Rot. Hat die Bundeskanzlerin denn keine
inspirierenden Perspektiven? Merkels Antwort: Die Koalition wolle
„die Quellen guten Lebens allen zugänglich machen“. Das war nun
wirklich der Knaller. Zur Bekräftigung hätte sie hinzufügen sollen:
„Die Bundesregierung will darauf hinwirken, dass alle Kinder mit
einem schönen Sonnenuntergang zu Bett gehen können und alle Alten
morgens ohne Schmerzen aufwachen.“ Wer wie Merkel unfähig ist zu
Pathos und rhetorischem Elan, sollte es lassen; denn es geht daneben.
Dennoch ist bemerkenswert, wie offen die Kanzlerin die Defizite
ansprach, die sich mit dem Start ihrer dritten Koalition verbinden.
Das Problem liegt nur darin, dass sie diese nicht als Defizite sieht
– im Gegenteil. Sie rühmt ihre alte und aktuelle Regierung wegen der
Energiewende, aber die Koalition hat gerade vor, die Bremse
anzuziehen, hinter anspruchsvolle Ziele zurückzufallen. Sie
verteidigt den geplanten Maut-Unfug, und mancher
Koalitionsabgeordneter weiß vor Peinlichkeit nicht, wohin er gucken
soll. Aber vielleicht kommt doch noch etwas Anderes. Der Bemerkung
Merkels von den pflegenden Angehörigen als den „stillen Helden
unserer Gesellschaft“ kann man nur zustimmen. Von einer
Regierungschefin würde man erwarten, dass sie daraus klare
Konsequenzen zieht: ein Konzept, das eine deutlich bessere Bezahlung
des Pflegepersonals gewährleistet und es von übertriebenem
Schriftkram entlastet. Aber vielleicht kommt das noch. Merkel will
die Finanztransaktionssteuer. Man hat nur nicht den Eindruck, dass
sie sich dafür richtig in die Bresche wirft und zumindest versucht,
zu diesem Zweck ein Bündnis mit europäischen Partnern zu schmieden.
Aber vielleicht kommt das noch. Das Bundeskabinett hat gestern die
abschlagsfreie Rente ab 63, die verbesserte Mütterrente und die
Erwerbsminderungsrente beschlossen. Dafür sollen zunächst die
aktuellen Überschüsse in der Rentenkasse herhalten, damit so wenig
wie möglich auffällt, was die Sache kostet. Das heißt: Für diese
Wohltaten werden Beamte, Selbstständige, Abgeordnete und Minister
nicht zur Kasse gebeten. Das ist unverschämt; Merkel hat es im
Bundes- tag verteidigt. Aber schon bald wird die Rentenreform auch
den Bundesetat belasten. Was prinzipiell richtig, finanzpolitisch
unverantwortlich ist. Wenn die Bundeskanzlerin aber der Meinung sein
sollte, dass sich die langfristigen Kosten dieser – sicherlich gut
gemeinten – Rentenreform mit dem Ziel eines ausgeglichenen
Bundesetats verbinden lassen, hätte sie das in ihrer Grundsatzrede
klipp und klar erklären können. Sie hat es nicht getan. Sie wird
dafür ihre Gründe haben. Aber vielleicht kommt doch noch was. Man
benötigt viel Zuversicht, um in Ruhe abzuwarten, was von dieser
Koalition vielleicht noch alles kommt.

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