Die Rentenreformpläne der neuen
Bundessozialministerin kosten bis 2020 rund 60 Milliarden Euro. Da
wird im Kabinett und im Bundestag wahr- scheinlich noch einiges
geändert, aber falsche Prioritäten zeichnen sich deutlich ab. Es
besteht die Gefahr, dass Prinzipien des Rentensystems beschädigt
werden. Dessen gut gedachter Generationenvertrag funktioniert nur,
wenn es genügend arbeitende Menschen gibt, die mit ihren Beiträgen
die Altersversorgung von immer mehr und immer länger lebenden
Rentnern finanzieren. Das Rentensystem muss zusammenbrechen, wenn
immer weniger Junge für immer mehr Alte zahlen müssen. 1995 dauerte
der Ruhestand von weniger Rentnern im Durchschnitt knapp 16 Jahre.
Heute sind es schon fast 20 Jahre, und es werden immer mehr. Deshalb
war, ist und bleibt die Rente mit 67 richtig, und man wird demnächst
auch über die Rente mit 68 oder 70 reden müssen. Es sei denn, es
würde plötzlich ein Babyboom einsetzen, oder die Republik würde
überschwemmt von jungen, top ausgebildeten Arbeitskräften, die alle
einen Job finden. Mit beidem ist nicht zu rechnen. Wer länger lebt,
muss länger arbeiten. Wer viel länger lebt, muss viel länger
arbeiten. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern
auch der Mathematik. Wer heute als 30-Jähriger arbeitet, verdient und
in die Sozialversicherung zahlt, weiß, dass er als Ruheständler von
seiner Rente kaum noch die elementarsten Lebensbedürfnisse wird
finanzieren können. Aber die große Koalition verlangt von ihm, dass
er mehr in die Rentenkasse zahlt als – nach bisheriger Gesetzeslage –
erlaubt. Zudem wäre es schön, wenn er auch noch eine Familie gründet.
Müttern ihre Erziehungsleistung besser zu entgelten (das teuerste von
allen Vorhaben), Altersarmut zu bekämpfen, jenen, die wegen Krankheit
nicht mehr arbeiten können, die Rente aufzustocken, das alles sind
schöne, auch hehre und richtige Ziele. Solche politischen Ziele
müssen dann aber aus der politischen Kasse bezahlt werden. Dafür ist
der Bundesfinanzminister zuständig, nicht die Rentenversicherung.
Deren Beitragszahlern darf man nicht allein aufbürden, was alle –
also auch Beamte, Selbstständige, Abgeordnete, Minister – zu tragen
hätten. Die zusätzliche Mütterrente ist eine Sozialleistung, die
rückwirkend entschädigt. Das gab es bisher nicht. Was sollen denn
Eltern sagen, die in den 90er Jahren nur 70 Mark (etwas mehr als 35
Euro) Kindergeld bekamen statt heute 184? Wird das demnächst also
auch noch ausgeglichen? Mütterrente für mehr Mütter, abschlagsfreie
Rente mit 63 für langjährig Versicherte, verbesserte
Erwerbsminderungsrente – das alles soll bis 2017 aus der Rentenkasse
finanziert werden. Was danach geschieht, interessiert Schwarz-Rot
nicht. Spätestens dann wird es in der Rentenkasse düster aussehen,
wird aus dem Bundeshaushalt noch mehr zu zahlen sein. Der hat jetzt
schon jährlich weit über 80 Milliarden Euro Rentenzuschuss zu zahlen
– der höchste Posten in Schäubles Etat. Jeder vierte Euro fließt von
dort in die Rentenkasse. Warum tun Union und SPD das? Sie sagen: Das
ist gerecht. Sie wissen: Gerecht ist das – wenn überhaupt –
allenfalls für einen Teil der Alten. Sie ignorieren: Ihre Vorhaben
sind ungerecht gegenüber den Jungen. Sie rechnen: Es gibt mehr alte
als junge Wähler. Sie beschließen: Mehr für die Alten, weniger für
die Jungen. Sie vergessen: Viele Alte – immer noch die meisten –
haben Kinder und Enkel. Sie denken nicht nur an sich. Sie wissen in
der Regel, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Aber darauf, auf
solche Haltung, auf solche Einsicht setzen Union und SPD nicht.
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