Arroganz, Hartherzigkeit, Luxusleben,
Untertanengeist, Karrieredenken, Intrigantentum, „spirituelles
Alzheimer“ – selbst die ärgsten Kritiker des Vatikans holen gegen die
römische Kurie kaum zu einem solchen Rundumschlag aus. Der kann nur
dem antirömischen Affekt der schlimmsten deutschen
Laisser-faire-Katholiken entspringen – von wegen. Der Papst selbst
hat gestern über diese und ähnliche Missstände geklagt – schöne
Bescherung für die Kurialen. Es mehren sich die Zeichen, dass
Franziskus in der Zentrale seiner Kirche wirklich aufräumen will und
wird. Er legt sich mit machtbewussten Eliten an, er will sie
provozieren, er will ihr Netzwerk zerreißen. Am selben Tag, da der
Papst auf den Tisch haut, dass die kurialen Tassen durch die Sala
Clementina fliegen, sorgen die deutschen Bischöfe für einen weiteren
Knall: Sie stellten gestern in für sie frappierender Offenheit fest,
dass sie sich in der Frage der Pastoral für wiederverheiratete
Geschiedene nicht einig sind. Das ist zwar längst offenkundig, und
solchen Dissens gibt es in der Bischofskonferenz auch bei manchen
anderen Fragen. Aber in lang eingeübter Verkrampfung haben die
Bischöfe immer versucht, den Schein der Einigkeit zu wahren.
Nur ein erster kleiner Schritt
Die neue Ehrlichkeit könnte ein Indiz dafür sein, dass sich nun
tatsächlich etwas ändern soll. Erfreulicherweise will die Mehrheit
der Bischöfe wiederverheiratete Geschiedene unter Bedingungen zur
Kommunion zulassen. Was die Bischöfe in ihren Überlegungen dazu
theologisch sorgsam abwägen, ist vielerorts seit langem pastorale
Praxis. Eine Reform könnte insofern manche Verlogenheit beenden, die
der katholischen Kirche häufig nicht nur dabei und zu Recht
vorgeworfen wird. Klipp und klar sagen die Bischöfe, sie müssten
wieder sprachfähig werden, die Kirche werde vielfach als unbarmherzig
wahrgenommen und nicht mehr verstanden. Wenn sie das ehrlich meinen,
müssen sie allerdings – ohne Wenn und Aber – noch viel weiter gehen,
um im Alltag ihrer Gläubigen anzukommen. Wer über wiederverheiratete
Geschiedene erst zu Gericht sitzen will, um sie inquisitorisch
auszufragen, bevor er ihnen die Teilnahme an der Eucharistie
gestattet, kann es gleich ganz bleiben lassen. Trotzdem könnte sich
aus dieser ersten Bewegung heraus eine Dynamik entwickeln, die die
katholische Kirche über den Kreis der Treuen hinaus wieder etwas
attraktiver macht. Denn gerade ihre Haltung zu Ehe, Familie und
Sexualmoral hat die Kirche den Menschen entfremdet. Dem kleinen
Schritt müssen also weitere folgen. Die Zeiten ändern sich! Wirklich?
Es sind – aus gutem Grund – längst nicht alle Zweifel verschwunden,
ob die franziskanische Wende Bestand hat, ob sich Starrsinnige und
Traditionalisten nicht doch wieder durchsetzen. Franziskus tut, was
er kann. Wie niemand vor ihm nimmt er sich die Kurie vor und drängt
sie, die Sorgen und den Alltag der Gläubigen ernstzunehmen.
Unkonventionelle Chance
Jetzt hat der Vatikan – nach dem ersten im vorigen Jahr – einen
zweiten Fragebogen zu Familie und Sexualität an die nationalen
Bischofskonferenzen geschickt, um die entscheidende
Weltbischofssynode im kommenden Oktober zu diesem Thema
vorzubereiten. Damit und mit den Überlegungen der Bischöfe zur
Ehepastoral haben die Katholiken nun zwei Grundlagen, auf die sie
sich berufen können. Wer in seiner Kirche etwas ändern will, muss das
nun einfordern – in seiner Pfarre, bei seinem Pfarrgemeinderat,
seinem Pfarrer, bei seinem Bischof. Alle Kräfte in den katholischen
Gemeinden müssten sich in den kommenden Monaten auf diese Aufgabe
konzentrieren. Und wer mag, verfügt als Christ – wie vor ihm die
Christen in mehr als zweitausend Jahren – über eine weitere schöne,
aber längst unkonventionelle Chance, sich für eine gute Sache und
deren Protagonisten einzusetzen: beten!
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