Allg. Zeitung Mainz: Peter Königsberger Kommentar zur Türkei

Da hilft nur Druck

Wer ausweislich sensationeller Wahlerfolge die große Mehrheit der
Menschen hinter sich weiß und deshalb auch allein regieren kann, hat
in einer Demokratie in der Regel alles richtig gemacht. Allerdings
verführt solch ein umfassendes Mandat auch dazu, demokratische
Grundsätze nicht mehr so wichtig zu nehmen. Der türkische
Ministerpräsident ist gerade dabei, genau das zu tun, indem er die
gnadenlos zusammenknüppeln lässt, die an seiner autoritären
Amtsführung Kritik üben und auf die Straße gehen. Eine Amtsführung,
die konsequent davon geprägt ist, die in der Verfassung
festgeschriebene Trennung von Staat und Religion zwar nicht de jure
aufzuheben, aber de facto auszuhebeln. Und die davon geprägt ist, die
muslimische Türkei der islamischen Welt weit näher zu bringen als je
zuvor. Seinem Land hat dies zwar einen erstaunlichen wirtschaftlichen
Aufschwung und ihm die Dankbarkeit der Menschen gebracht – die
Distanz zu Europa aber auch erheblich vergrößert. Erdogan nimmt dies
in Kauf, fühlt er sich doch von der EU schäbig behandelt, weil sie
der Türkei die Mitgliedschaft verweigert. Auf der Strecke droht dabei
die städtische, westlich orientierte Jugend zu bleiben, die von
Erdogans Bevormundung und Islamisierung nichts wissen will. Bei
Erdogan auf Einsicht zu hoffen, ist vergebliche Liebesmüh. Sieht er
sich doch von der breiten Masse geradezu legitimiert, weiter kräftig
hinzulangen. Geht das so weiter, werden aus Steinwerfern schnell
Brandsatzbastler, und dann wird nicht mehr geknüppelt, sondern scharf
geschossen. Verhindern kann man das nur mit massivem politischen
Druck aus Washington und Brüssel und nicht mit diplomatisch leise
vorgetragenem Tadel.

Pressekontakt:
Allgemeine Zeitung Mainz
Andreas Trapp
Volontär
Telefon: 06131/485872
online@vrm.de

Weitere Informationen unter:
http://