Allg. Zeitung Mainz: Verzwergt / Kommentar von Lars Hennemann zu Merkel in China

In der Haut der Kanzlerin möchte man derzeit nicht
stecken. Auf der einen Seite ein Cowboy in Washington, der nicht
konkurrenzfähige heimische Branchen – etwa die Autobauer – mit
rabiaten Methoden zu schützen anstrebt. Und damit wohl durchkommen
wird, weil er trotz allen Bedeutungsverlustes auf absehbare Zeit noch
der dickste Junge auf dem Schulhof ist. Auf der anderen Seite China,
das Geschäft nur erpresserisch gegen Technologietransfer gewährt. Und
damit wohl ebenfalls durchkommen wird, weil man bald ähnlich dick ist
wie der Cowboy, aber noch wesentlich schlauer: Was sich in Fernost in
Sachen Digitalisierung anbahnt, ist mitunter kaum fassbar. Weniger
Grundgefasste als Angela Merkel könnten in einer solchen Situation
die Fassung verlieren. Aber dazu hat sie weder Zeit noch echten
Anlass. Keine Zeit, weil Europa – und mit ihm Deutschland vorneweg –
schleunigst seiner eigenen Verzwergung Einhalt gebieten muss. Das
letzte Mal, als das global in einer (damaligen) Schlüsseltechnologie
gelang, wurde die Firma Airbus gegründet. Keinen Anlass, weil man die
chinesische Big-Brother-Welt trotz aller Fremdheit und Maßlosigkeit
erst einmal verstehen muss, um ihr einen Gegenentwurf vorsetzen zu
können. Auch deshalb, weil die Strategien der amerikanischen
Technik-Giganten der Chinas so fern gar nicht sind. Die Kanzlerin hat
also gut daran getan, Flagge zu zeigen. Aber das langt nicht. Sie
muss einen Aufholprozess anstoßen, damit Europa die schöne neue
Digitalwelt trotz aller Konkurrenz menschengerecht prägen kann. China
und die USA sind dazu nicht willens oder aktuell nicht in der Lage.
Und irgendwann ist der Zug schlicht abgefahren, um noch Einfluss
nehmen zu können.

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