Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, der 
Bundestag könnte in den nächsten Tagen Angela Merkel zum dritten Mal 
zur Bundeskanzlerin wählen, die Große Koalition könnte ihre Arbeit 
aufnehmen. Doch erst einmal droht dem Land eine weitere an den Nerven
zehrende Hängepartie mit einem ungewissen Ausgang. Da SPD-Chef Sigmar
Gabriel die Zustimmung seiner Partei zu Koalitionsverhandlungen nur 
zum Preis einer Mitgliederbefragung bekam, liegt das Schicksal der 
Großen Koalition und damit die Zukunft der Nation in den Händen der 
474 820 SPD-Mitglieder. Sie alleine entscheiden, ob die größte 
Wirtschaftskraft der EU bis Weihnachten eine stabile Regierung hat, 
oder ob dem Land weitere Monate der Ungewissheit und möglicherweise 
sogar Neuwahlen drohen. Eine paradoxe Situation. Nicht das Votum der 
61 Millionen Wahlberechtigten zählt, sondern einzig das Urteil der 
SPD-Basis. Diese besondere Situation hat die Koalitionsverhandlungen 
von Anfang an geprägt. Die SPD konnte vom ersten Tag an ein hohes 
Druckpotenzial aufbauen und Dinge durchsetzen, die in keinem 
Verhältnis zu ihrem eher mageren Wahlergebnis von 25,7 Prozent 
standen, im Gegenzug musste die Union trotz ihres Triumphes am 
Wahltag erhebliche Zugeständnisse machen. Das spiegelt sich im 
Koalitionsvertrag wider, der in den symbolträchtigen Kernpunkten eine
starke sozialdemokratische Handschrift trägt. Der Mindestlohn von 
8,50 Euro kommt, ebenso die abschlagsfreie Rente mit 63 und die 
doppelte Staatsbürgerschaft. Die CSU wiederum kann die Einführung der
Maut auf ihrem Konto gutschreiben, die CDU hat sich bei der 
Mütterrente durchgesetzt, zudem mit ihrer Forderung, dass es weder 
neue Schulden noch Steuererhöhungen geben darf. Als problematisch 
könnten sich noch die milliardenschweren Rentenpläne entpuppen, die 
den aktiv im Erwerbsleben Stehenden aufgebürdet werden. Ohnehin 
bleibt im Vertrag vieles vage, unverbindlich und unklar, vieles von 
der Reform des EEG über die Maut bis zu den offenen 
Finanzierungsfragen muss erst noch im Gesetzgebungsverfahren konkret 
geklärt werden, etliche Passagen können unterschiedlich interpretiert
werden. Eine Vision für das Land sucht man vergebens, stattdessen 
haben sich Union und SPD eine pragmatische, an den aktuellen 
Herausforderungen orientierte Arbeitsgrundlage gegeben. Ein Stück 
weit rücken Union und SPD gemeinsam nach links, korrigieren einige 
Fehlentwicklungen der Agenda-Politik, nehmen aber auch manchen 
Reformschritt zurück, um nach den Zumutungen der letzten Jahre wieder
verstärkt Wohltaten verteilen zu können. Insofern hat Sigmar Gabriel 
sein Ziel erreicht: Mit Hilfe einer von Merkel auf einen weitgehend 
ideologiefreien Kurs getrimmten Union setzt er sich demonstrativ von 
Gerhard Schröder und Franz Müntefering ab und korrigiert an 
entscheidenden Punkten deren Politik. Mehr konnte er nicht tun, um 
seine zutiefst verunsicherte Partei zu befrieden. Nun liegt sein 
Schicksal – und auch das Angela Merkels – in den Händen der 
SPD-Mitglieder. Alles ist im Augenblick entschieden – und doch 
nichts.
Pressekontakt:
Badische Neueste Nachrichten
Klaus Gaßner
Telefon: +49 (0721) 789-0
redaktion.leitung@bnn.de
Weitere Informationen unter:
http://
