Angela Merkel zögert – und sie zögert aus gutem
Grund. Nur weil die Türkei inzwischen zu den am schnellsten
wachsenden Volkswirtschaften der Welt gehört, sind ihre Chancen auf
einen EU-Beitritt noch nicht gestiegen. Dass die Kanzlerin in Ankara
diesmal von Verhandlungen gesprochen hat, die „ergebnisoffen“ geführt
würden, und nicht mehr von einer Mitgliedschaft zweiter Klasse, der
berühmten privilegierten Partnerschaft, sollte Ministerpräsident
Recep Tayyip Erdogan jedenfalls nicht missverstehen. Die Botschaft
zwischen den Zeilen bleibt die gleiche: In den entscheidenden Fragen
trennt Europa und die Türkei mehr als sie verbindet. So deutlich
nennt eine Regierungschefin auf Staatsbesuch die Dinge natürlich
nicht beim Namen. Vorsichtig, wie es ihre Art ist, hat Angela Merkel
deshalb in dem einen oder anderen weniger wichtigen Punkt ihren guten
Willen und ihre Verhandlungsbereitschaft signalisiert, ihre
grundsätzliche Skepsis aber nicht aufgegeben. Von Erdogan drohen
lassen wird sie sich ohnehin nicht. Der flirtet zwar heftig mit einem
Beitritt zur „Schanghai Five“, einer lockeren Allianz aus China,
Russland und einigen zentralasiatischen Staaten, in der der türkische
Premier auch sein Verständnis von Religions- oder Pressefreiheit
nicht korrigieren müsste. Tatsächlich jedoch hat er nur ein Ziel: die
Aufnahme in die Europäische Union. Unabhängig davon sind die
deutsch-türkischen Beziehungen auch so schon kompliziert genug, was
nicht nur an der unterentwickelten Integrationsbereitschaft einiger
seiner ausgewanderten oder schon in Deutschland geborenen Landsleute
liegt, sondern auch an Erdogans undiplomatischer Art. Er nimmt für
sich in Anspruch, die fast drei Millionen Menschen mit türkischen
Wurzeln in Deutschland irgendwie mit zu vertreten. Vor dem letzten
Besuch der Kanzlerin in der Türkei hat er sie deshalb mit der
Forderung nach einer türkischen Universität und türkischen Gymnasien
in Deutschland provoziert. Diesmal ist es die doppelte
Staatsbürgerschaft, die seiner Ansicht nach Türken erhalten sollen,
die in der Bundesrepublik leben. Der Gipfel der Unverfrorenheit war
allerdings Erdogans Vorschlag, die Patriot-Raketen aus Deutschland,
den USA und den Niederlanden an der syrischen Grenze unter ein
türkisches Oberkommando zu stellen. Spätestens hier hat der
Ministerpräsident die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und
Selbstüberschätzung überschritten – und sich bei der Nato eine
saftige Abfuhr eingehandelt. Für deutsche Unternehmen ist ein Land
wie die Türkei, das seine Wirtschaftsleistung innerhalb von zehn
Jahren verdreifacht hat, einfach nur ein interessanter Markt – und
die Bundesrepublik für die türkische Wirtschaft umgekehrt natürlich
auch.
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