Der Prozess gegen die türkischen Putschgeneräle
von 1980 ist ein Meilenstein. Das Verfahren markiert das Ende einer
langen Ära, in der die Militärs in Ankara das eigentliche Sagen
hatten und die gewählten Politiker in ständiger Furcht vor dem
nächsten Staatsstreich zitterten, statt das Land zu regieren. Dass
dieses alte System in relativ kurzer Zeit und ohne Blutvergießen
zerschlagen werden konnte, ist eine große Leistung der Türken und
auch der EU. Doch es fehlt etwas. Fußballfans erinnern sich noch an
den legendären Bayern-Vorstopper Georg Schwarzenbeck – ein
effizienter Zerstörer, dessen Spezialität es war, gegnerische
Angriffe zu ersticken. Ein kreativer Spielgestalter war Schwarzenbeck
dabei nicht; das überließ er seinem Freund Franz Beckenbauer. So
ähnlich ist es heute in der Türkei: Die Erdogan-Regierung verdient
viel Anerkennung für das Abschneiden alter Zöpfe. Doch bei der
Gestaltung des Neuen zeigt sie Schwächen. Der heute 94-jährige
Putschist Kenen Evren rechnete nie ernsthaft damit, dass ihm eines
Tages der Prozess gemacht werden könnte. Nicht ohne Grund. Die
„Paschas“, wie die hohen Generäle in der Türkei genannt werden, waren
lange unantastbar; viele Politiker und auch ein Großteil der Medien
umschwirrten sie wie devote Hofschranzen. Einem türkischen
Generalstabschef war es meistens schnuppe, welcher Politiker gerade
die Regierungsgeschäfte führte. Und wenn die Armee die Regierung
nicht mochte, schritt sie ein. Ermutigt durch die EU, wrackte Erdogan
die alte Ordnung ab. Doch beim Bau eines neuen, demokratischeren
Systems tut er sich schwer. Die von den Militärs 1982 diktierte
Verfassung ist immer noch in Kraft, die Arbeit der Zivilisten an
einem neuen Grundgesetz kommt kaum voran. Erdogan selbst zeigt immer
stärker autoritäre Züge, begünstigt durch eine schwache Opposition.
Aber die Herausforderungen der Zukunft sind mit der Auflösung alter
Strukturen allein nicht zu meistern.
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Klaus Gaßner
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