Badische Neueste Nachrichten: Erstaunlich vage

Die Karlsruher Entscheidung macht einem bei
allem Verständnis für die Politikschelte durch den Zweiten Senat auch
ratlos. Ratlos nämlich bei der Frage, was nun? Ausführlich hat der
Senat die Schwächen des eben erst reformierten Wahlrechts
durchdekliniert. Für diese Reform hatte sich die Politik sehr zum
Unwillen des Gerichts viel Zeit gelassen. Doch bei der Lösung des
Problems bleiben die Richter erstaunlich vage. Natürlich ist es die
Aufgabe des Gesetzgebers, Gesetze zu erlassen, dies vergaß das
Gericht nicht zu erwähnen. Die Richter scheuten aber vor dem Risiko
zurück, selbst eine Übergangsregelung zu treffen, die ebenfalls
unkalkulierbare mathematische Unwägbarkeiten hätte. Dass es künftig
nicht mehr als 15 Überhangmandate geben soll, ist die einzige
Richtschnur, an der sich die Politik entlang hangeln kann. Doch wie
kann dies erreicht werden? Das Gericht hat selbst die Umstände
beschrieben, die die Überhangmandate angesichts des Umbruchs in der
Parteienlandschaft in Zukunft immer wahrscheinlicher machen. Doch den
Weg, diese bisher „ausgleichslosen“ Mandate mit weiteren Mandaten
auszugleichen, wie es in aller Regel die Wahlgesetze für die
Landtagswahlen kennen, nennen die Richter ebenfalls wenig
zielführend. Denn dabei droht eine Aufblähung des Parlaments und ein
regionales Ungleichgewicht. In der Genese des neuen Gesetzes, als
Union und FDP – vor ihrem verhängnisvollen Alleingang – noch mit der
Opposition in dieser Sache sprachen, war bereits einmal die Rede
davon, dass man in letzter Konsequenz dann einem Wahlkreissieger das
Mandat aberkennen müsse. Dies wäre der Fall, wenn es rechnerisch in
seinem Bundesland Überhangmandate gibt. Dies könnte zur absurden
Situation führen, dass am Schluss ein Wahlkreissieger sein Mandat
nicht erhält, ein Wahlkreisverlierer aber nach Berlin kommt, weil er
auf einer Landesliste abgesichert ist Dies kann ernsthaft niemand
wollen. Es würde alles auf den Kopf stellen, was bisher für die
Architektur der repräsentativen Demokratie in Deutschland galt. Nein,
die Politiker sind nicht zu beneiden mit dem Karlsruher
Richterspruch. Der Zweite Senat hat nach dem Warten auf seine fällige
Entscheidung in Sachen Euro-Rettungsgesetze der Politik einen neuen
Brocken für die Sommerpause hingeworfen. Die Zeit drängt, die
Bundestagswahlen im Herbst 2013 rücken näher. Regierungskoalition wie
Opposition sind zu einem Kompromiss verpflichtet, der unter massivem
Zeitdruck steht. Doch eines ist klar: Wenn es nicht zu einer völligen
Abkehr vom bisherigen System kommt, und dafür gibt es bisher keine
Mehrheiten, wird auch noch jedes so ausgeklügelte System im
Einzelfall mathematische Ungerechtigkeiten produzieren. Diese
Ungenauigkeiten will mancher trotz des eigentlich notwendigen Blicks
auf das Ganze nicht akzeptieren. Damit ist der nächste Gang nach
Karlsruhe programmiert – und dort ist wieder alles offen. Für eine
Schimäre der absoluten mathematischen Gerechtigkeit wollen offenbar
die Kritiker ein Wahlsystem aufs Spiel setzen, dass sich bisher im
Prinzip bestens bewährt hat.

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Klaus Gaßner
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