Badische Neueste Nachrichten: Gleiches Recht für alle

Gerechtigkeit ist in der Politik ein heftig
strapazierter Begriff – und jede Partei interpretiert ihn etwas
anders. Für Sozialdemokraten, Grüne und Linke ist Gerechtigkeit vor
allem eine Frage des Verteilens: Wer gut oder sehr gut verdient, soll
über einen höheren Spitzensteuersatz auch entsprechend mehr an das
Gemeinwesen abführen. Die FDP und viele Konservative pochen dagegen
auf Leistungsgerechtigkeit: Wer mehr leistet, soll davon auch etwas
haben. Nach dieser Logik schaffen höhere Steuern keine Gerechtigkeit.
Sie demotivieren nur. Der Streit um die Mütterrenten ist einer der
seltenen Fälle, in denen sich diese beiden schwer miteinander
vereinbaren Sichtweisen ergänzen. Hier geht es sowohl um
Leistungsgerechtigkeit als auch um Verteilungsgerechtigkeit.
Millionen von Müttern werden bis heute benachteiligt, weil sie ihre
Kinder vor 1992 geboren haben. Die Rentenkasse schreibt ihnen für
jedes ihrer Kinder nur ein Jahr Erziehungszeit gut – für Kinder, die
nach diesem Stichtag zur Welt gekommen sind, setzt sie dagegen drei
Babyjahre an. Das ist nicht nur ungerecht, sondern für die Union in
einem Wahljahr geradezu geschäftsschädigend. CDU und CSU haben
versprochen, Mütter bei der Rente in Zukunft gerecht zu behandeln.
Eine Mutter, deren Kinder schon erwachsen sind, hat in ihrem Leben ja
nicht weniger geleistet als eine junge Frau, die heute ein Kind
erwartet, noch leisten wird. Im Gegenteil. Die meisten älteren Mütter
haben mehr Kinder großgezogen als die gegenwärtige Müttergeneration,
sie haben dafür kein Elterngeld bekommen – und sie hatten häufig gar
nicht die Möglichkeit, Familie und Beruf so selbstverständlich
miteinander zu vereinbaren wie es vielen Frauen heute gelingt. Sie
sind, wenn sich nichts ändert, gleich doppelt gestraft: Weil sie sich
gegen den Beruf entschieden haben, fallen ihre Renten entsprechend
niedrig aus – und gleichzeitig wird ihre Erziehungsleistung von der
Solidargemeinschaft auch noch deutlich schlechter honoriert. Für ein
Kind, das an Weihnachten 1991 geboren wurde, erhält eine Mutter in
den alten Bundesländern im Moment 27,47 Euro Rente im Monat. Wäre es
erst zwei Wochen später zur Welt gekommen, wäre es der
Rentenversicherung 82,41 Euro wert. Leistungsgerechtigkeit lässt sich
in diesem Fall leicht schaffen, dazu muss die Koalition die
Drei-Jahres-Regel nur auf die Jahrgänge vor 1992 ausweiten. Mit der
Verteilungsgerechtigkeit wird es da schon komplizierter: Bis zu 13
Milliarden Euro würde eine solche Reform den Steuerzahler kosten, was
angesichts der finanziellen Zwänge weiß Gott keine Kleinigkeit ist
und auch den heftigen Widerstand von Finanzminister Wolfgang Schäuble
erklärt. Union und FDP können also, wenn sie sich überhaupt einigen,
nur schrittweise gleiches Recht für alle schaffen. Der Vorschlag der
CSU, mit den Müttern zu beginnen, die mehrere Kinder geboren haben,
hat allerdings seine Tücken: Das hieße, dass die wohlsituierte
Zahnarztgattin mit drei Kindern früher in den Genuss des
Rentennachschlages käme als die Supermarktkassiererin mit einem Kind.
Der Versuch, Gerechtigkeit zu schaffen, würde so nur neue
Ungerechtigkeiten produzieren. Die überarbeitete Mütterrente soll
Teil eines ganzen Gesetzespaketes zur Abwehr von Altersarmut sein.
Schon deshalb macht es Sinn, mit der Angleichung bei den Frauen zu
beginnen, die mit ihren bisherigen Rentenansprüchen noch unter dem
Niveau der Sozialhilfe oder nur knapp darüber liegen. In einem
zweiten und dritten Schritt bekämen dann auch alle anderen Mütter
ihre drei Babyjahre – bis hin zur Zahnarztgattin. Erst danach wäre
dem Staat wie beim Kindergeld jedes Kind gleich viel wert.

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Klaus Gaßner
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