Badische Neueste Nachrichten: keine Experimente

Natürlich liegt es nicht an Philipp Rösler
alleine. So unglücklich ihr junger Vorsitzender die FDP auch führt:
Am Rand des Abgrundes steht die Partei nicht erst seit dem Tag, an
dem sie sich von Guido Westerwelle zu emanzipieren begann. Im Prinzip
geht es mit den Liberalen bereits seit Herbst 2009 bergab, als sie
stark wie nie in den neuen Bundestag eingezogen einem grandiosen
Irrtum aufgesessen waren: Berauscht von ihren 14,6 Prozent fühlten
Westerwelle und seine Gefolgsleute sich plötzlich auf Augenhöhe mit
den Volksparteien, stolz und schier unverwundbar. Tatsächlich hatten
sie nur einen günstigen Augenblick erwischt und den Frust über die
Lethargie der Großen Koalition geschickt in ein gutes Wahlergebnis
umgemünzt. Diese Hypothek aus Fehleinschätzungen,
Selbstüberschätzungen und mangelnder Professionalität lastet bis
heute wie ein Mühlstein auf der FDP. Auch eine gute Dreikönigsrede,
wie Rösler sie gestern gehalten hat, wird daran noch nicht viel
ändern. Neun Monate vor der Bundestagswahl verfolgt die tief
verunsicherte Partei nur noch ein Ziel: Die Fünf-Prozent-Hürde zu
nehmen, und sei es noch so knapp. Dazu verbiegt sich auch Rösler
selbst bis zur Unkenntlichkeit. Ausgerechnet er, der einst Pate für
einen neuen, mitfühlenderen Liberalismus stehen wollte, argumentiert
inzwischen so ökonomisch kühl wie die alte FDP: Staatsbetriebe
privatisieren, den Kündigungsschutz lockern, den Mindestlohn
verhindern. Der Versuch, die Partei für neue Wählerschichten zu
öffnen, sie sensibler zu machen für gesellschaftliche Probleme wie
die besorgniserregende Zunahme von Billig- und Billigstjobs oder die
Karrierenachteile von Frauen, ist fürs erste gescheitert. So gesehen
wäre es nur folgerichtig, wenn Rainer Brüderle die FDP in die nächste
Wahl führen würde, ob als neuer Vorsitzender, als Spitzenkandidat
oder als Vorsitzender und Spitzenkandidat in Personalunion. Der
Fraktionschef ist der Mann, der die Stammkundschaft der Partei am
besten mobilisieren kann, die Mittelständler, die Handwerker, die
Freiberufler und leitenden Angestellten. Wenn sie am Wahltag
frustriert zuhause bleiben, kann die FDP einpacken. Mag sein, dass in
einem nächsten Schritt ein junger Liberaler wie der frühere
Generalsekretär Christian Lindner die Partei wieder aus dieser
Eindimensionalität heraus- führen wird. Für den Moment jedoch muss
die FDP schon um des Selbsterhaltes willen nach der Methode Adenauer
verfahren: Keine Experimente. Brüderles Rede in Stuttgart war deshalb
auch ein Signal an die treuesten unter den treuen FDP-Wählern: Wir
haben verstanden. Schwierig genug wird die Operation fünf Prozent
auch so. Im Moment ist die FDP keine geschlossene Partei, keine allzu
sympathische und auch keine durchsetzungsfähige, sondern eher eine
Karikatur davon. Dennoch bleiben die Freien Demokraten, bei allem
Verdruss über die Regierungsarbeit der vergangenen drei Jahre und die
Intrigen der vergangenen Wochen, eine notwendige Kraft in der
deutschen Politik, wenn nicht gar eine unverzichtbare. In einem
Parlament, in dem von der Union bis zur Linken ausschließlich
staatsgläubige Parteien sitzen, würde ohne die FDP eine wichtige
Stimme fehlen – die Stimme der Freiheit, der Eigenverantwortung, der
ökonomischen Vernunft. Nur weil eine liberale Partei sich gerade
selbst in höchste Not manövriert hat, ist die Idee des politischen
Liberalismus ja noch nicht aus der Mode. Im Gegenteil: Je stärker
sich der Staat in das Leben seiner Bürger einmischt, von der
Vorratsdatenspeicherung bis zu den versteckten Steuererhöhungen durch
die kalte Progression, umso dringender braucht es eine Partei, die
diesem Staat auch seine Grenzen aufzeigt.

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Klaus Gaßner
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