Wie groß der Druck ist, zeigt ein Blick an die
Börse. Kurz vor der Sondersitzung des Bundestages gestern in Berlin
hat die spanische Regierung versucht, sich drei Milliarden Euro am
Kapitalmarkt zu beschaffen – mit begrenztem Erfolg. Die Nachfrage
nach den neuen Anleihen war überschaubar, der Zins mit bis zu 6,7
Prozent entsprechend hoch. Dem Land in dieser kritischen Situation
den Geldhahn abzudrehen, es mit seinen taumelnden Banken alleine zu
lassen – ein solcher Schritt käme das übrige Europa mindestens so
teuer wie das Hilfspaket über 100 Milliarden Euro, dem der Bundestag
gestern mit großer Mehrheit seinen Segen gegeben hat. Obwohl noch
nicht alle Haftungsfragen geklärt sind und der Stresstest für die
spanischen Banken noch aussteht, bleibt Deutschland für kriselnde
Euro-Länder wie Spanien, Griechenland oder Zypern ein loyaler
Partner. Die Beispiele Irland und Portugal zeigen, welche
disziplinierende Kraft die Flucht unter einen Rettungsschirm
entfalten kann. Beide Länder haben das Schlimmste hinter sich und
sind auf dem besten Weg, sich nachhaltig zu sanieren. Im Falle
Spaniens allerdings balanciert die europäische Politik auf einem
ungleich schmaleren Grat. Auf der einen Seite kann sie der
viertgrößten Ökonomie der EU schlecht die Solidarität aufkündigen,
wenn sie den gefürchteten Flächenbrand in der Euro-Zone vermeiden
will – auf der anderen Seite ist das aktuelle Hilfspaket für Spanien
so geschnürt, dass das Geld aus dem EFSF nicht der vorübergehenden
Refinanzierung des Landes dient, also den Spaniern selbst, sondern
allein dessen angeschlagenen Banken über den Berg helfen soll. Wenn
dieser Präzedenzfall Schule macht, wird das viele Finanzjongleure
nicht disziplinieren, sondern sogar noch ermuntern, hemmungslos
weiterzuzocken: Schließlich steht, im Falle eines Falles, immer
irgendwo ein Rettungsschirm bereit. Deutschland ist bisher besser als
alle anderen Länder Europas durch die große Krise gekommen. Mit jedem
Hilfspaket, das sie abnicken sollen, wächst allerdings auch unter der
Abgeordneten des Bundestages das Unbehagen über ihre eigenen
Beschlüsse. Viele von ihnen stimmen bei Entscheidungen wie gestern
nur noch zähneknirschend zu. Mehrfach hat Angela Merkel deshalb
bereits die sogenannte Kanzlermehrheit verfehlt. In den wirklich
wichtigen Fragen regiert sie, wenn man so will, schon jetzt mit einer
informellen Großen Koalition. Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl ist
diese Loyalität auch für die SPD keineswegs selbstverständlich. Im
Auge des Orkans allerdings widerstehen auch die Sozialdemokraten der
Versuchung, aus der europäischen Schuldenkrise innenpolitisch Kapital
zu schlagen. So schwindelerregend hoch die Summen auch sein mögen:
Deutschland, das wirtschaftlich mit Abstand stärkste Mitglied im
Euro-Club, handelt noch immer im eigenen Interesse. Kein Land hat
mehr von der Einführung des Euro profitiert, kein Land exportiert
mehr in die anderen Länder der Euro-Zone. Überdies ist die Hilfe für
die verschiedenen Krisenstaaten nach den ersten schlechten
Erfahrungen mit Griechenland inzwischen an vergleichsweise strenge
Bedingungen geknüpft. Was das im Einzelfall heißt, zeigt ein kleines
Rechenbeispiel von Angela Merkels früherem Berater Jörg Asmussen, der
heute im Vorstand der Europäischen Zentralbank sitzt: Innerhalb eines
Jahres musste die Regierung in Athen in ihrem Haushalt umgerechnet
fünf Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung einsparen. Auf
Deutschland übertragen wären das 125 Milliarden Euro im Jahr.
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