Badische Neueste Nachrichten: Merkel bestimmt das spiel

Historisch ist ein Votum, wenn es bestehende
Landschaften umpflügt und neue politische Fluren schafft. Dieser
Wahlabend kreiert Historie – im gleißenden Licht für Angela Merkel
und die Unionsparteien, im düstersten Gemälde für die FDP, in klaren
Dämpfern für SPD, Grüne und Linke, und in einem Achtungserfolg für
die Euro-feindliche AfD, die am Bundestagseinzug letztlich scheitert,
zusammen mit der im außerparlamentarischen Strudel versinkenden FDP.
Für Schwarz-Gelb gehen an diesem 22. September unabänderlich die
Lichter aus. Doch Angela Merkel steht gestärkt wie nie zuvor da. CDU
und CSU schnupperten mit deutlich über 41 Prozent sogar lange an der
absoluten Mehrheit. In jedem Fall erhält die Union einen
Regierungsauftrag mit Ausrufezeichen. Die Kanzlerin, Angela Merkel,
bestimmt das Spiel. Sie kann sich zwischen – freilich unbequemen –
Partnern den mit der größten Schnittmenge aussuchen. So viel Macht
für eine Volkspartei auf Bundesebene: Das ist in einer Zeit der
vermeintlichen politischen Desorientierung und aufgesplitterten
Interessen ein mittleres Polit-Mirakel. Dieser Sieg ist aber auch
Verpflichtung und Bürde. Weil es nun für die Kanzlerin gilt, mit der
SPD oder den Grünen zu koalieren und eine Regierung der befruchtenden
Gegensätze zu steuern. Weder Sozialdemokraten noch Grüne wollten sich
vor dieser Wahl eine Liaison dieser Art vorstellen, zumindest in den
Versen ihrer Wahlkampf-Lyrik. Jetzt deutet der Zeiger der Geschichte
auf sie, und mit größerer Eindringlichkeit auf die SPD – als auf die
Grünen. Die mittlerweile weit hinter der Union rangierende
Sozialdemokratie bleibt hinter ihren selbst formulierten Erwartungen
deutlich zurück, weil die „Peer-Spitze“ letztlich doch stumpf blieb.
Allen guten TV-Auftritten Steinbrücks zum Trotz. Als kluger Kopf der
SPD gewann er zwar an Profil und Überzeugungskraft, wirkte aber als
Provokateur immer wieder wie ein Brecht-Schauspieler, der den
Verfremdungseffekt in eigener Sache sucht – indem er sich vor seinem
Publikum freiwillig in Frage stellt. Steinbrück befindet sich in
guter Gesellschaft: Mit den Grünen, die genauso kritische Nachlese
betreiben müssen. Forsche fordernde Steuerpolitik, Veggie-Day und
unschöne Pädophilie-Debatten haben das Allzeithoch in ein Tief
verwandelt. Auch bei den Grünen wird es noch erheblich knirschen. In
der Fulminanz eines Wahlabends schälen sich immer unumstößliche
Wahrheiten heraus. Die deutschen Wähler präferieren Angela Merkel als
Kanzlerin, als ideale „Frau Regierung“, wie es niemand voraussah. Sie
wird als Dreh- und Angelpunkt empfunden, wenn es um die Euro-Krise,
um die außenpolitische Note, um die Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik im Lande geht. Weil dieses Land aber vor
gewaltigen Reformprozessen steht, heftige Sozialdebatten wie die um
den Mindestlohn und Kita-Plätze führt, sich mit Bildung, den Folgen
des Atomausstiegs und der sicher noch überraschungsreichen
Energiewende befasst, wollen die Wähler dieser Kanzlerin neue
streitbare Geister zur Seite stellen. In einem Wähler-Basta, das sehr
viel Beständigkeit und Solidität, aber auch den wesentlichen Schuss
Neuerung möchte. Aus dieser Mischung muss nicht die schlechteste
Politik für ein Reform-Deutschland erwachsen, für die internationalen
und für die europäischen Herausforderungen. Die FDP ist dabei – so
hart es klingt – überflüssig geworden, der Wähler schickt sie in ihr
grausamstes Wahldebakel der Nachkriegsgeschichte. Solange sie
Liberalität im 21. Jahrhundert nicht neu definiert, wird sie im
Abseits des Wartestands verharren.

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Badische Neueste Nachrichten
Klaus Gaßner
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