Badische Neueste Nachrichten: Späte Einsicht

Aufmerksamkeit, Anteilnahme und Proteste im
Westen sind nicht ohne Folgen geblieben. Russlands Präsident Wladimir
Putin will gegen die widerspenstigen Frauen der Punkband Pussy Riots
Milde walten lassen. Von London aus, wo Putin die russische
Olympiamannschaft besucht, hat er das Gericht in Moskau um Gnade für
die drei jungen Frauen gebeten. Ohne Zweifel wird das Gericht dem
Wunsch Folge leisten, was erstens zu begrüßen wäre, zweitens aber
nicht gerade für die Unabhängigkeit der russischen Justiz spricht.
Aber immerhin war Putin von den Punkerinnen bei deren
60-Sekunden-Auftritt in der orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale am
Roten Platz übel beschimpft worden. Insofern geht sein Gnadengesuch
in Ordnung. Doch die Vermutung geht wohl nicht daneben, dass Putin
sich weniger für das Schicksal der drei Punkerinnen interessiert,
sondern es ihm in erster Linie um das Ansehen Russlands im Ausland
geht. Da ist der Prozess vor allem in Kreisen von Popmusikern übel
vermerkt worden. Amnesty International hat die Punkerinnen sogar als
politische Häftlinge eingestuft. Das ist vielleicht ein wenig viel
der Ehre, denn der Auftritt vor dem Altar der altehrwürdigen
Kathedrale war alles andere als geschmackssicher. Aber die drohende
Höchststrafe von sieben Jahren Haft wäre völlig unverhältnismäßig. Um
es klar zu sagen: Wenn eine Punkband den Kölner Dom stürmt und am
Altar blasphemische Gesänge anstimmt sowie politische Parolen ruft,
kann das auch hierzulande ein Fall für die Justiz werden. Aber enden
würde das Verfahren nicht mit einer Haftstrafe, sondern
wahrscheinlich mit mahnenden Worten des Richters und ein paar
Sozialstunden. Andere Länder, andere Sitten und Justizsysteme. Die
drei Punkerinnen sitzen bereits seit mehr als drei Monaten in
Untersuchungshaft; die russische Justiz hatte den festen Willen (oder
Auftrag aus dem Kreml), ein Exempel zu statuieren. Denn das
eigentliche Vergehen der Pussy Riots war nicht ein politisch
motivierter Auftritt in einer Kirche, was sie besser gelassen hätten,
sondern es ging um Majestätsbeleidigung. Schließlich hatten sie die
Gottesmutter angefleht, Russland von Putin zu erlösen. Der Auftritt
war völlig daneben, keine Frage. Das ist jedoch kein Grund für eine
mehrjährige Haftstrafe. Russland nimmt doch für sich in Anspruch, die
Willkür der Zaren und der finsteren Stalin-Jahre überwunden zu haben.
Über Kunst und Pop-Kultur lässt sich trefflich streiten. Doch besser
ist, staatliche Autoritäten halten sich aus einem solchen Streit
heraus. Die Pussy Riots sind nicht wegen ihrer Musik berühmt, sondern
wegen einer völlig unangemessenen Strafandrohung. Putin scheint das
alles peinlich zu sein und meint, es sei dem russischen Ansehen im
Ausland abträglich. Dass ist der Grund dafür, dass der starke Mann
Russlands für Gnade plädiert. Besser wäre gewesen, er hätte sich dazu
früher durchgerungen. Erst die Androhung einer siebenjährigen
Haftstrafe hat den Pussy Riots ein Maß an Aufmerksamkeit verschafft,
das der Qualität ihrer Musik und ihrer Auftritte nicht angemessen
ist.

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Klaus Gaßner
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