Eine Statistik können die Bildungspolitiker
leider nicht vorlegen: Wie viele Fünftklässler zittern in diesen
Tagen dem Zeugnis entgegen? Wie viele von ihnen müssen demnächst
schon wieder ihr Gymnasium oder ihre Realschule verlassen – weil das
Ziel einfach zu hoch ist, das ihre wohlmeinenden oder ehrgeizigen
Eltern ihnen gesteckt haben? Genau diese Zahlen aber wären nötig, um
zu beurteilen, ob es ein großer Erfolg oder ein verhängnisvoller
Fehler war, die verbindliche Grundschulempfehlung in
Baden-Württemberg abzuschaffen. Stattdessen schwelgt der neue
Kultusminister in grün-rotem Eigenlob – womöglich freut er sich zu
früh. Ob der erste Jahrgang ohne verbindliche Schulempfehlung
erfolgreich ist, wird sich in sechs bis neun Jahren zeigen. Wobei
nicht allein eine bestandene Mittlere Reife oder Abi-Prüfung über
Erfolg entscheidet. Beste Förderung heißt eigentlich: Jedes Kind
bekommt die Chance, seine Begabungen zur optimalen Entfaltung zu
bringen – und seinen Platz in der Arbeitswelt zu finden. Ein
chronisch überforderter Schüler, der es zum unglücklichen Akademiker
schafft, verpasst vielleicht ein Leben als begnadeter Handwerker.
Traurig ist, dass Politiker und Eltern das Seelenheil der Kinder
allzu oft aus dem Blick verlieren. Gewiss hat die Abschaffung der
strengen Grundschulempfehlung zu einer atmosphärischen Entspannung
beigetragen und auch manche ausländische Familie mit begabtem
Nachwuchs zur selbstbewussteren Schulwahl ermutigt – doch dazu hätte
die Politik längst mit gezielter Förderung beitragen können.
Tatsächlich sind viele schwache Schüler schon in der ersten Klasse
abgehängt und erfahren kaum Hilfe. Parteien aller Couleur aber
huldigen dem Akademisierungswahn, reden die Hauptschule kaputt,
dulden Dumpinglöhne. Nun haben die Familien mit den Füßen übers
Schulsystem abgestimmt – und Grün-Rot stürmt zu neuen Reformen.
Schulerfolg und Freude am Lernen aber lassen sich nicht per
Etikettenwechsel verordnen.
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Klaus Gaßner
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