Badische Neueste Nachrichten: Versöhnungsgesten

Angela Merkel ist eine konfliktscheue Frau – und
offenbar auch eine sehr selbstlose. Nach dem Koalitionsgipfel am
Sonntagabend können Horst Seehofer und Philipp Rösler zufrieden vor
ihre Anhänger treten. Der eine hat sein Betreuungsgeld bekommen und
750 Millionen Euro für den Verkehrsminister noch obendrauf. Der
andere hat die Praxisgebühr abgeschafft und den C-Parteien bei der
Rente und beim Betreuungsgeld noch ein paar kleinere Zugeständnisse
abgerungen. Die Erfolge der Kanzlerin dagegen sind weniger
handfester, sondern eher atmosphärischer Natur: Sie hat ihre
Koalitionäre nach einem Jahr des Zauderns und des Zankens gerade noch
rechtzeitig miteinander versöhnt. Zehn Monate vor der Bundestagswahl
ist das Binnenklima in der Bundesregierung nun wieder einigermaßen
intakt. In der Sache selbst hat die Koalition nicht allzu viel
bewegt. Intern war bereits seit zwei Wochen klar, dass das
Betreuungsgeld kommen und die Praxisgebühr verschwinden würde. Da
sich auch der Kompromiss, den Union und FDP bei der Rente gefunden
haben, nur unwesentlich von den ursprünglichen Plänen der
Sozialministerin unterscheidet, haben lediglich die frischen
Ramsauer-Millionen und die neue Haushaltsdisziplin noch einen
gewissen Aufmerksamkeitswert. Bei beiden Operationen ist der Ausgang
allerdings eher ungewiss: Der Verkehrsminister hat bisher noch nicht
einmal die zusätzliche Milliarde, die er beim Koalitionstreffen vor
einem Jahr herausgehandelt hat, verbaut. Und der Finanzminister wird
sich schwer tun, seinen Kabinettskollegen ausgerechnet in einem
Wahljahr die neun oder zehn Milliarden Euro wegzunehmen, die er noch
braucht, um die laufenden Ausgaben 2014 ohne neue Kredite finanzieren
zu können. Verglichen damit sind die Entscheidungen über zehn Euro
weniger Praxisgebühr oder zehn Euro mehr Rente allenfalls politische
Pflichtübungen. Gemessen wird die Koalition am Wahltag vor allem an
zweierlei: Gelingt es der Kanzlerin, Deutschland weiterhin sicher
durch die große Krise zu führen? Und bleibt die Bundesrepublik trotz
wachsender Begehrlichkeiten in anderen europäischen Ländern und
erster konjunktureller Warnsignale in Deutschland bei ihrer Politik
der konsequenten Haushaltskonsolidierung? Für eine bürgerliche
Regierung sind solide Staatsfinanzen Teil ihrer politischen
Identität. Zusätzliche Steuereinnahmen, wie sie Finanzminister
Wolfgang Schäuble jetzt wieder erwartet, müssen deshalb in den
Schuldendienst fließen und nicht in den laufenden Etat. Die 750
Millionen, die der Gipfel für Verkehrsminister Peter Ramsauer locker
gemacht hat, sind auch vor diesem Hintergrund ein fragwürdiges
Signal: So lange noch nicht einmal klar ist, in welche Projekte das
Geld überhaupt fließen soll, muss es auch niemand bewilligen.
Erschwerend hinzu kommt, dass der CSU-Mann den Ausbau des
Schienenetzes offenbar für nicht ganz so wichtig hält – dabei ist der
Nachholbedarf hier nicht geringer als im Straßenbau. Im Gegenteil.
Mit solchen Details allerdings hält sich die Koalition im Moment
nicht auf. Wozu auch? Nach dem dramatischen Ansehensverlust der FDP
hatte der Gipfel vom Sonntag vor allem ein Ziel: Zu zeigen, dass
Union und FDP noch immer mehr verbindet als trennt. Fürs erste ist
Angela Merkel, Horst Seehofer und Philipp Rösler das gelungen. Ob der
Berliner Burgfriede auch hält, was die drei sich versprechen, wird
sich allerdings erst nach der Wahl in Röslers Heimatland
Niedersachsen Ende Januar erweisen. Wenn die FDP dort aus dem Landtag
fliegt, könnte es mit der neuen Harmonie schnell wieder vorbei sein.
In der Politik sind nicht die angeschlagenen Gegner, sondern die
angeschlagenen Partner am gefährlichsten.

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Badische Neueste Nachrichten
Klaus Gaßner
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