Badische Neueste Nachrichten: Waffenwahn

Es gibt vieles, was streng geregelt ist im
Alltag heranwachsender Amerikaner. Im Auto sitzen die Kleinen in
normgerechten Kindersitzen. Lernen sie Fahrrad fahren, dann mit
Schutzhelm auf dem Kopf und standardisierten Schaumstoffpolstern an
Ellbogen und Knien. Bisweilen scheint es, als hätten resolute
Kinozensoren im Namen der Sittlichkeit mehr Macht als der Präsident.
Jugendliche im fortgeschrittenen Teenageralter können ein Lied davon
singen, wie deprimierend es ist, wenn ihnen ein Kneipenwirt kein Bier
zapfen darf, weil sie noch keine 21 Jahre alt sind. Kurzum, wenn es
um den Nachwuchs geht, ist Amerika manchmal alles andere als der Hort
der grenzenlosen Freiheit. Umso unverständlicher bleibt die eine, die
große Ausnahme: Im Namen der Freiheit verbietet es sich dieses Land,
gegen den Waffenwahn einzuschreiten. Was sollen all die
Ellbogenschützer, wenn Erstklässer im eigenen Klassenzimmer nicht
sicher sind? Gewiss, keine Regel der Welt kann ausschließen, was in
der ländlichen Idylle Newtowns passierte. Ein Psychopath lässt sich
auch von den besten Paragrafen nicht stoppen, wir Europäer wären
schlecht beraten, uns da aufs hohe Ross zu setzen. So weckt das
Massaker in der amerikanischen Schule dunkle Erinnerungen an das
Blutbad in Winnenden, wo 2009 ein Amokläufer 15 Menschen erschoss.
Was die USA anbetrifft, so ist es jedenfalls verstörend, wie schnell
die Politik solche Tragödien in der Vergangenheit abgehakt hat.
Columbine 1999, Virginia Tech 2007, jüngst das Kino-Blutbad in
Aurora: Die Alarmglocken hätten längst läuten müssen. Stattdessen gab
es jedes Mal eine kurze Debatte, oft geführt in resignierendem Ton.
Und danach passierte – nichts. Das alles nur, weil ein Mythos das
Denken trübt. Mit dem Recht auf privaten Waffenbesitz wollten die
Gründerväter bekanntlich garantieren, dass ein finsterer Tyrann von
tapferen Bürgermilizen aus dem Weißen Haus gejagt wird, sollte er
sich jemals dort etablieren. Deshalb: Keine Schranken! Wären die
Folgen nicht so traurig, könnte man unter der Rubrik Kurioses
abhaken, mit welcher Verve sich die Waffenlobby heute immer auf die
perückenbewehrten Republikgründer beruft. Wer weiß, vielleicht
markiert Newtown die Wende. Vielleicht kann eine zutiefst schockierte
Nation den Schrecken der Tragödie nur verarbeiten, indem sie ihre
Politiker zum Handeln verpflichtet, zu harten Gesetzen. Nach solchem
Horror kann einfach niemand mehr zur Tagesordnung übergehen.

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Klaus Gaßner
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