Badische Neueste Nachrichten: Zu viele Einzelkämpfer

Ist es ein schlechtes Omen? Ausgerechnet
Wolfgang Schäuble, der stärkste Mann im Kabinett, der strenge Hüter
der Kasse, fehlt, wenn am Sonntagabend die Spitzen der schwarz-gelben
Koalition im Kanzleramt zu ihrem wahrscheinlich wichtigsten Treffen
in dieser Legislaturperiode zusammenkommen. Der Finanzminister ist
bereits über den Wolken auf dem Weg nach Mexiko zum G-20-Gipfel. Er
sei zwar ständig erreichbar und könne in die Verhandlungen
eingreifen, heißt es, und doch ist es für die Partei- und
Fraktionschefs sowie die Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP ein
Stück weit leichter, sich über neue milliardenschwere Ausgaben zu
verständigen, wenn der oberste Kassenwart der Nation nicht mit am
Tisch sitzt und direkt mitverhandelt. Die Versuchung jedenfalls, zehn
Monate vor der Bundestagswahl, tief in die Kasse zu greifen und mit
einer üppigen vorweihnachtlichen Bescherung das von der Regierung
enttäuschte Wahlvolk zu beglücken, dürfte groß sein. Große Teile der
im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben wurden entweder erst gar
nicht angepackt – so die versprochene Steuerreform mit einem
jährlichen Entlastungsvolumen von 24 Milliarden Euro – oder sie
wurden im Laufe der Legislaturperiode still beerdigt wie die Reform
der Mehrwertsteuer oder die Neugestaltung der kommunalen Finanzen.
Wieder anderes wie die Energiewende kommt nicht voran, weil sich die
Koalitionäre nicht einigen können und gegenseitig blockieren. Der
Gipfel am Sonntag – das erste Treffen des Koalitionsausschusses seit
März – ist die letzte Chance für Angela Merkel, Horst Seehofer und
Philipp Rösler, die Bilanz ihrer Koalition aufzumöbeln und den Beweis
der Einigkeit in zentralen Fragen zu erbringen. Doch weil alle
Beteiligten wissen, dass sie an den Ergebnissen dieses Treffens
gemessen werden, ist die Gefahr groß, dass es zu einem Kuhhandel
kommt: Die CSU bekommt ihr Elterngeld. Damit die FDP ihren Widerstand
aufgibt, wird die Praxisgebühr gesenkt. Und die CDU, die weder das
eine noch das andere will, erhält als Entschädigung eine bessere
Anrechnung der Erziehungszeiten von älteren Müttern bei der Rente.
Die Kosten sind dabei zweitrangig, dank der üppig sprudelnden
Steuereinnahmen und der Überschüsse im Gesundheitsfonds lassen sich
leicht neue Wohltaten beschließen. Da hilft es auch nicht, dass
FDP-Chef Philipp Rösler plötzlich die Haushaltskonsolidierung als
neue Kernkompetenz der schwindsüchtigen FDP entdeckt hat. So bleibt
bei den Wunschkoalitionären alles wie gehabt. Es gibt kein
gemeinsames Projekt, dem sich die Koalitionspartner verpflichtet
fühlen, keine gemeinsame Agenda, die identifikationsstiftend wirken
könnte, sondern nur ein Nebeneinander von unterschiedlichen
Interessen, die um des Friedens willen mit einem tiefen Griff in die
Kassen bedient werden. Die Koalition ist ein Bündnis von
Einzelkämpfern, in dem jeder nur sein Prestigeprojekt im Sinn hat,
das Gemeinwohl ist dabei nachrangig. Das Betreuungsgeld für die CSU,
das Ende der Praxisgebühr für die FDP und ein Rentenpunkt mehr für
ältere Mütter für die CDU – am Sonntag gibt es für jeden etwas. Die
Parteistrategen werden ihre Siege gebührend feiern, dabei ist klar:
Zur Ruhe kommt die Koalition dadurch nicht.

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Klaus Gaßner
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