BERLINER MORGENPOST: Achtung Neufassung! Eine Antrittsrede zum Wohlfühen Gilbert Schomaker über die Kür von Renate Künast als Spitzenkandidatin der Grünen

Der Wahlkampf um die Macht in Berlin ist eröffnet.
Renate Künasts Bewerbungsrede für das Amt der Regierenden
Bürgermeisterin war ein Angriff auf Klaus Wowereit und die rot-rote
Koalition. Berlin verdiene mehr als ein lustloses Regieren, so
Künast. Der entscheidende Begriff ihrer Rede war Aufbruch. Aufbruch
in eine neue Zeit des Klimaschutzes, außerdem sollen 100000
neue Arbeitsplätze in Berlin entstehen, es in den Kiezen mehr
sozialen Zusammenhalt geben. Künast stellte sich als Bürgermeisterin
für alle dar. Mit transparenten Entscheidungen, bei denen die Bürger
mitreden dürfen. Als Regierende Bürgermeisterin für die Jungen und
die Alten, die Armen und die Arbeitslosen, die Umweltschützer und die
Wirtschaft. Sie setzte in ihrer Rede auf Emotionen und auf das
weitverbreitete Wohlgefühl, das die oppositionellen Grünen in Bund
und Land umgibt und sie bis auf Umfragewerte von 30 Prozent in Berlin
getragen hat. Konkret wurde Renate Künast nur in ganz wenigen Punkten
– und das war die Schwäche der Kandidatenkür. Wie die 100000
neuen Arbeitsplätze zustande kommen sollen, mit welchem Geld kleinere
Klassen und die Sanierung von Schulgebäuden bezahlt werden sollen –
diese Fragen ließ sie offen. Aber Künast ging es gestern auch nicht
um einen Zehn-Punkte-Plan für Berlin. Die Grünen setzen auf die
Wechselstimmung in der Hauptstadt, in der Rot-Rot nun bald schon zehn
Jahre regiert. Renate Künast machte gestern deutlich, worum es ihr
geht. Sie fordert den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit
heraus. Nicht mehr und auch nicht weniger. Sein Amt will sie. Für die
machtbewusste Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag kommt nur
das Rote Rathaus in Frage. Einen Job als Umweltsenatorin und
Juniorpartnerin der SPD unter Wowereit wird sie nicht machen. Für
Künast ist es eine Fahrt in die Landespolitik mit Rückkehrrecht auf
die Bundesebene. Dies Zweigleisigkeit erkennt man auch an ihrem
Terminkalender. Gestern Berlin mit der Bewerbungsrede um das Amt der
Regierenden Bürgermeisterin. Heute Gorleben, wo sie den Protest gegen
den Castor-Transport und die Atompolitik der Bundesregierung mit
anführt. Morgen Wedding, wo sie beim Parteitag als Spitzenkandidatin
nominiert werden wird. Es ist der Schwachpunkt der Strategie der
Grünen, dass sie auf Alles oder Nichts setzen. Künast Spagat ist für
Berlin nicht unproblematisch. Auf Bundesebene schöpfen die Grünen
Hoffnung, dass es bei der nächsten Wahl zusammen mit der SPD für
einen Regierungswechsel reichen könnte. Deswegen positionieren sie
sich klar gegen Schwarz-Gelb. Wenn Künast diesen Konflikt nun nach
Berlin trägt, kann das Folgen für die Stadt haben. Der Wahlkampf und
eine derzeit wahrscheinliche Regierungsbeteilung der Grünen in der
Hauptstadt dürfen nicht verkommen zu einer Show gegen die
Bundesregierung. Berlins Probleme sind zu gewaltig, als dass die
Stadt zum Feld bundespolitischer Auseinandersetzungen wird. Renate
Künast muss klare Antworten auf die Probleme der Stadt geben. Damit
die Bürger am 18. September 2011 eine wirkliche Wahl haben.

Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de