BERLINER MORGENPOST: Charité könnte zum Vorbild werden Joachim Fahrun über die Pläne, mit dem Bund ein Berliner Zentrum für Spitzenforschung zu etablieren

Normalerweise neigen Organisationen dazu, ihre
Eigenständigkeit mit aller Macht zu verteidigen. Umso bemerkenswerter
ist, dass zwei Leuchttürme der deutschen Forschungslandschaft sich
ernsthaft auf den Weg begeben haben, zum Wohle eines besseren Ganzen
zu verschmelzen und dabei natürlich auch eigene Kompetenzen
abzugeben. Was die Universitätsklinik Charité und das
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Biologie vorhaben, ist deshalb
bahnbrechend für die immer noch zersplitterte deutsche
Forschungsstruktur. Überzeugend klingen die Argumente für einen
Zusammenschluss, der bereits in diversen gemeinsamen
Forschungsprojekten und Instituten Gestalt annimmt. Die Forscher am
MDC erzielen rasante Fortschritte dabei, die Grundlagen von
Volkskrankheiten wie Krebs, Herzinfarkt oder Nervenleiden zu
entschlüsseln. Um diese Resultate schneller für Patienten und
Anwendung nutzbar zu machen, wäre es sinnvoll, noch näher an die
klinische Forschung an der Charité und deren riesigen Patientenpool
heranzurücken. Würden die Ressourcen gebündelt, entstünde eine
Adresse, die den Vergleich mit internationalen
Top-Forschungsstandorten in den USA nicht muss. Natürlich wäre der
Berliner Senat froh, die kostenträchtige Charité auf elegante Weise
loszuwerden. Der Investitionsbedarf an den drei Standorten geht in
die Milliarden, sehr viel für ein klammes Land, das unter dem Druck
der Schuldenbremse wirtschaften muss. Bei dem Plan für eine
„Bundesklinik“ geht es aber um mehr als den üblichen Ruf der Berliner
nach Bundeshilfe. Deutschland insgesamt muss sich überlegen, wie in
Zukunft wissenschaftliche Spitzenklasse bezahlt werden soll. Noch
pumpt die Bundesregierung über die Exzellenzinitiative Milliarden in
die Elite-Unis. Andere Wege, um die Länder mit ihren Hochschulen zu
unterstützen, haben sich die Politiker mit ihrer Föderalismusreform
verbaut. Wenn aber 2017 die Exzellenzinitative ausläuft, stellt sich
nicht nur in Berlin die Frage, wie die aufgebauten Exzellenzcluster
und Forschungsbereiche weiter bezahlt werden sollen. Vor allem die
Südländer Baden-Württemberg und Bayern werden feststellen, dass ihre
Universitäten die größten Einbußen verkraften müssen, die auch ihre
Landeshaushalte kaum werden ausgleichen können. Diese Perspektive
muss auch bei strengen Verfechtern des Bildungsföderalismus zum
Umdenken führen. Ein Engagement der Bundesregierung für die
wichtigste Zukunftsfrage des Landes, wissenschaftliche Innovation,
darf nicht aus Prinzipienreiterei verhindert werden. In Berlin
besteht die Chance, mit der Charité und dem Max-Delbrück-Centrum ein
Modell künftiger Zusammenarbeit zu erproben. Zwei Dinge dürften
jedoch sicher sein: Billiger wird es für den Senat nicht werden, denn
der Bund wird sich hüten, auf diesem Weg Berliner Haushaltslöcher zu
stopfen. Und eine tiefere Kooperation mit dem städtischen
Klinikkonzern Vivantes kommt für eine angestrebte Elite-Einrichtung
kaum infrage. Wer in der internationalen Spitzenklasse der
medizinischen Forschung mitspielen möchte, muss sich klar für den Weg
der Exzellenz entscheiden. Für Berlins Zukunft wäre das ein wichtiges
Signal.

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