Nach jedem Lebensmittelskandal wird sie mit einer
Sicherheit serviert, dass man das viel zitierte Gift darauf nehmen
könnte, im jüngsten Fall eben Dioxin: die Weisheit, dass die
Lebensmittel bei uns einfach zu billig seien. Wären sie teurer, so
lautet der implizite Umkehrschluss, gäbe es keine Skandale mehr, oder
doch zumindest weniger. Explizit hören wir dies schon seltener. Denn
dass es so einfach wäre, will kaum jemand wirklich behaupten. Auch
der Hinweis, dass es in Deutschland besonders schlimm sei, weil hier
die Nahrung billiger ist als in Nachbarländern, klingt nicht wirklich
überzeugend. Schließlich ist auch das Ausland, wo der Anteil des
Einkommens, der für Nahrung ausgegeben wird, bisweilen doppelt so
groß ist, nicht gefeit vor ähnlichen Skandalen. Kleiner sind die
Supermärkte bei unseren Nachbarn jedenfalls nicht, nur die Regale für
Bioware nehmen im Durchschnitt weniger Raum ein. Wir müssen uns also
nicht unbedingt dafür schämen, der Erkenntnis, dass Lebensmittel bei
uns preiswert sind, auch positive Seiten abzugewinnen. Es steht jedem
frei, teurere Nahrung einzukaufen. Meist erhält er dafür
schmackhaftere Ware, am spürbarsten vielleicht beim Wein, es gilt
aber auch für Fleisch, Kartoffeln und anderes – auch übrigens für die
umstrittene Gänsestopfleber und Kaviar vom gefährdeten Stör. Es
hängt, wie so oft, vom Geldbeutel ab. Dass teurere Lebensmittel auch
gesünder seien, ist schon fraglicher, und wird gerade beim Thema Bio
oder Nicht-Bio von Experten bestritten. Deshalb ist es vollkommen
vermessen und unberechtigt, an die fragwürdige These von der
skandalträchtigen Billignahrung sogleich die Forderung nach einer
Gesamtumstellung der Landwirtschaft zu hängen. Womöglich auch noch
flächendeckend auf Bioprodukte. Wer dies einklagt, der möge zur
Kenntnis nehmen, dass ein großer Teil der Bevölkerung nach aller
Abwägung von Einkommen und Risiko bewusst zum Billigprodukt greift.
Und damit nicht nur ganz gut lebt trotz aller angeblichen
Giftbelastungen, sondern auch die gesundheitliche Expertise der
Behörden mit ihrem System von Grenzwerten hinter sich weiß, auch wenn
manche ihnen das madig machen wollen. Viele Menschen verlassen sich –
zu Recht – darauf, was das dafür zuständige Bundesinstitut für
Risikobewertung dazu sagt. Und es gibt keinen Grund für die Annahme,
dass die Behörde es sich bei seiner Beurteilung leicht machen würde,
wenn es feststellt, dass die bei uns im Verkehr befindlichen
Nahrungsmittel im Normalfall sicher sind, egal ob preiswert oder
besonders teuer. Was bleibt, ist die Pflicht der Länder, ihre
nachlässigen Kontrollen auszubauen, um Skandale nach bestem Wissen zu
unterbinden. Wer dagegen meint, mafiöse Machenschaften dadurch
auszuschalten, dass es in der Landwirtschaft um mehr Geld geht, der
sollte zunächst bei der Mafia in die Schule gehen und dort ein
Wirtschaftsseminar belegen: Je höher die Gewinnmargen, je mehr Geld
etwa Futtermittel kosten dürfen, desto lukrativer wird es, billige
Industriefette oder andere Abfälle den landwirtschaftlichen Betrieben
als Hühnernahrung unterzujubeln. Wir können es drehen und wenden wie
wir wollen: Gute Kontrolle ist das Gelbe vom Ei.
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