Wir leben in einer Risikogesellschaft. Denn die
Freiheit, die wir zu Recht fordern, birgt immer auch Risiken. Zum
Rechtsstaat gehört deshalb auch, dass wir das Problem akzeptieren
müssen, dass ein Mörder, der seine Strafe verbüßt hat, wieder auf
freien Fuß kommt und eventuell rückfällig wird. Die Gesellschaft gibt
durch die Resozialisierung ihr Möglichstes, um die Wahrscheinlichkeit
eines kriminellen Rückfalls zu verringern. Auszuschließen ist er
natürlich nicht. Was ist aber, wenn ein Krimineller als so gefährlich
eingestuft wird, dass er mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit wieder ein schweres Verbrechen begeht? Der
Rechtsstaat hatte darauf bisher die Antwort der nachträglichen
Sicherungsverwahrung. Selbst wenn die Richter also in ihrem Urteil
nicht zu der Auffassung gekommen waren – oder es schlicht vergessen
hatten -, eine Sicherheitsüberprüfung anzuordnen, konnte ein
gefährlicher Mensch nach Verbüßung seiner Haftstrafe weiter
eingesperrt bleiben. Dieses Prinzip der Sicherungsverwahrung hat der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben. Natürlich ist
es schwierig, jemanden nur aufgrund einer Prognose eingesperrt zu
lassen. Denn obwohl sich die wissenschaftlichen Gutachter alle Mühe
geben, bleibt eine Vorhersage immer unscharf. Aber an dieser Stelle
sei ein Vergleich erlaubt: Auch in der Psychiatrie werden gefährliche
Menschen hinter hohen Mauern eingesperrt. Auch hier geht es um
Prognosen, ob jemand rückfällig werden kann. Sicherlich handelt es
sich hier um kranke Menschen. Aber auch in diesen Fällen wird der
Schutz der Gesellschaft abgewogen gegen die Freiheit des potenziellen
Täters. Nun drohen allein in Berlin sieben Mörder und Vergewaltiger
freizukommen. Justiz und Polizei bemühen sich, ein engmaschiges
Kontrollnetz zu spannen. Mit Überwachung durch Zivilbeamte, mit
Meldepflichten und Verboten, bestimmte Orte, wie Kinderspielplätze,
zu besuchen. Doch kein Netz kann so eng geknüpft sein wie die
Sicherheit, die ein Gefängnis bietet. Zudem stellen sich rein
praktische Fragen. Wie lange und mit welchem Aufwand kann man einen
Kriminellen mit hoher Rückfallwahrscheinlichkeit überwachen? Ein
Jahr, zwei Jahre, drei Jahre? Bis ins Renteneintrittsalter? Die
Überlegungen, die jetzt angestellt werden, müssen als Ausgangspunkt
den Schutz der Gesellschaft haben. Das ist eben nur durch eine
Entscheidung gegen die totale Freiheit des einzelnen
Schwerverbrechers zu erreichen, die eingesperrt bleiben müssen. Um
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aber Rechnung zu tragen,
sollten sie innerhalb der hohen Mauern eine große Freiheit genießen.
Psychiater sollten sich um sie kümmern, und regelmäßig sollten
Prognosen über ihre Entwicklung und eine weitere Sicherungsverwahrung
entscheiden. Wir leben in einer Risikogesellschaft, aber wir müssen
diese Risiken minimieren.
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